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Lucienne Bloch (1909–1999), schweizerisch-amerikanische Muralistin, Malerin, Originalgrafikerin, Fotografin und Lehrerin

Von Alex Winiger

In Genf geboren, wanderte Lucienne Bloch 1917 in die USA aus. Sie ist hauptsächlich bekannt für ihre fotografischen Portraits von Frida Kahlo und Diego Rivera sowie für ihr WPA-Wandgemälde für das New Yorker Frauengefängnis von 1936. Als Wandmalerin und Lehrerin überlieferte sie die Freskotechnik in den USA zusammen mit ihrem Ehemann Stephen Pope Dimitroff (1910–1996) bis in die 1990er-Jahre.

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Abb. Lucienne Bloch, Diego Rivera, Frida Kahlo in 1934 Abb. Lucienne Bloch, Ernest Bloch, Frida Kahlo, Suzanne Bloch, Diego Rivera, New York, 1934 Abb. Lucienne Bloch, New York, 1933 Abb. Lucienne Bloch, 1936, New York Abb. Lucienne Bloch, Cycle of a Woman's Life, 1936 Abb. Stephen Dimitroff, Lucienne Bloch, New York, 1934 Abb. Lucienne Bloch, George Washington Oberschule, New York, 1938 Abb. Lucienne Bloch, Lehrervereinigung, 1951 Abb. Lucienne Bloch, Emanueltempel (Tür der heiligen Tage), 1953 Abb. Lucienne Bloch and Stephen Dimitroff, den Emanueltempel bedruckend Abb. Lucienne Bloch, Morgen, Zweigstelle Poststrasse der San Francisco National Bank, 1963 Abb. Lucienne Bloch, Vier Reformationsführer, Pesbyterianische Kirche Kalvarienberg, 1963 Abb. Griechisch orthodoxe Kirche der Auferstehung, Oakland. Innenausstattung mit Dekorationen von Lucienne Bloch, 1970er-Jahre Abb. Lucienne Bloch malend in der Ersten Pesbyterianischen Kirche, Sheridan WY, 1979 Abb. Lucienne Bloch, Die Ausbildung, die wir anbieten, Fort Bragg CA, 1987/88

Herkunft, Übersiedlung, Ausbildung

Lucienne Bloch war das dritte Kind des Musikers, Komponisten und Lehrers Ernest Bloch (1880–1959). Ihr Vater, Abkömmling einer jüdischen Familie in Genf (Schweiz) setzte früh auf eine Musikerlaufbahn, hatte in Europa jedoch wenig Erfolg. Ein Engagement führte ihn 1916 in die USA. Hier fand er rasch Unterstützung und Erfolg, und die Familie zog 1917 in die USA.1 Nachdem sie die Hathaway Brown Mädchenschule in Cleveland (Ohio) besucht hatte, besuchte Lucienne anstelle der Sekundarschule das Kunstinstitut von Cleveland. 1925 konnte sie in die Klasse von Antoine Bourdelle (1861–1929) an der Kunstakademie in Paris eintreten. Ergänzend dazu begann sie, bei André Lhote (1885–1962) zu studieren, einem nicht-akademischen Kunstlehrer. 1927 hatte sie zum ersten Mal Kontakt mit der traditionellen Wandmalerei in Form der Werke von Fra Angelico in Florenz. Gleichen Jahres kaufte ihr ihr Vater eine Leica-Kamera.2

Ein Bekannter ihres Vaters, der niederländische Glasfabrikant Petrus Marinus Cochius (1874–1938), bot Lucienne ihre erste bezahlte Anstellung als Glasdesignerin an. Sie arbeitete von 1929 bis 1931 in Leerdam, worauf sie von Frank Lloyd Wright angefragt wurde, in Taliesin Skulptur zu unterrichten. 1931 in New York angekommen praktizierte und publizierte sie ihre fotografische Arbeit und stellte ihre Glasarbeiten aus. An einem Bankett traf sie schliesslich die Person an, die ihrem Leben eine neue Richtung geben sollte: den mexikanischen Wandmaler Diego Rivera (1886–1957), der gerade verschiedene Aufträge für Gemälde in San Francisco und nun in Detroit erhalten hatte. Sogleich stellte dieser sie an, ihm bei der Vorbereitung seiner bevorstehenden Fresko-Ausstellung am Museum of Modern Art zu assistieren.3 Unterwegs zu ihrem vereinbarten Arbeitsort in Taliesin gesellte sich Lucienne zu Rivera in Detroit und assistierte im in seiner Arbeit im Kunstinstitut, wo sie sich mit Frida Kahlo eng befreundete. Daraus ergab sich eine Reise nach Mexiko und zahlreiche Fotoportraits Luciennes von Frida. In Fridas Zuhause begegnete Lucienne deren Vater Guillermo Kahlo (1871–1941), einem Berufsfotografen, und fand Gelegenheit, ihre Erfahrungen mit ihm auszutauschen.

Der Aufenthalt in Wisconsin erwies sich als kurzlebig. Lucienne Bloch wurde sich bewusst, dass die Schule von Wright erst im Entstehen begriffen war und somit für einen vollständig ausgebildeten Künstler womöglich gute Chancen bot, jedoch nicht für sie, die ihr eigenes Werk erst noch erschaffen musste. Aus diesem Grund entschied sie sich für die Rückkehr nach New York.

Liebe und erste Erfolge

1933 sandte Rivera zwei seiner Detroiter Assistenten los, die Wand für sein Werk «Man at the Crossroads» im Rockefeller Center in New York vorzubereiten, das heute bekannt ist für eine der heftigsten Auseinandersetzungen Riveras, welche bewirkte, dass weitere seiner Aufträge in den USA zurückgezogen wurden. Die jungen Handwerker baten Lucienne um finanzielle Unterstützung, die sie ihnen unter der Bedingung gewährte, als offizielle Fotografin in das Projekt einbezogen zu werden. So kam es, dass die einzigen existierenden Fotos des am Ende zerstörten Werks im Rockefeller Center schliesslich von ihr stammten.

Ihre Begegnung mit dem einen der beiden erwähnten Handwerker, Stephen Pope Dimitroff, mündete in Liebe, lebenslange Partnerschaft und Zusammenarbeit. 1936 heirateten die Beiden. Bereits 1934 schufen sie das Wandgemälde in einem Wohnhaus im East Village. Lucienne Bloch bewarb sich für FAP-Unterstützung und erhielt den Auftrag für ein grosses Wandbild für das Frauengefängnis in der Greenwich Avenue, das in der Presse breit besprochen wurde, unter anderem von Anita Brenner (1905–1974), einer der herausragensten Förderinnen der mexikanischen Kunst in den USA. Ungefähr 1939 zogen Bloch und Dimitroff mit ihrem neugeborenen Sohn (dessen Patin Frida Kahlo wurde) nach Flint (Michigan), wo Stephen Dimitroff in der Autoindustrie arbeitete, während Lucienne Bloch zwei weitere Wandgemälde schuf, für eine Schule und ein Kinderheim. In demjenigen für die YWCA erweiterte sie ihre technische Bandbreite durch die Anwendung von Kaseinfarbe direkt auf einer Backsteinmauer.4

Leben und Arbeit in Kalifornien

1948 zog die nun auf fünf Mitglieder angewachsene Familie nach Mill Valley, Kalifornien, und fünfzehn Jahre später nach Gualala im Mendocino County. Lucienne Bloch und Stephen Dimitroff (letzterer in der Regel als ihr technischer Helfer) hinterliessen ihre Spur auf vielen Wänden nicht nur in der Region, sondern auch im Osten der USA. 1958 entwarf das Paar ein 1600 Quadratmeter grosses Wandbild aus Keramikkacheln für IBM in San José. Sie realisierten 1962 and 1963 herausragende Werke für die San Francisco National Bank, ebenfalls 1963 für die Calvary Presbyterianische Kirche in San Francisco sowie für die Erste Presbyterianische Kirche in San Rafael (1974 fertiggestellt). Sie erweiterten ihre technische Bandbreite hin zu Mosaiken und Keramikwandbildern, aber auch Acrylgemälden. Für die griechisch-orthodoxe Kirche von Oakland schufen sie eine Gesamtdekoration. In Erich Mendelssohns Emanueltempel in Grand Rapids arbeiteten sie mit Ölfarbe und Blattgold. Die Freskotechnik jedoch, wie sie sie von Diego Rivera gelernt hatten, blieb ihre Spezialität, diejenige Technik, die sie mit ihren Wandbildern und ihrem Unterricht weiter verbreiteten.

Bedeutung und Kontext

In den Anfängen ihrer Muralistenlaufbahn drückte sich Lucienne Bloch geradlinig, sachlich und mit sozialem Anspruch aus. Ihre Arbeit im Frauengefängnis von Greenwich Village kann als unabhängige, aber auch repräsentative Arbeit der WPA-FAP-Ära gelten.5 Das Atypischste daran ist die Tatsache, dass sie von einer der seltenen Muralistinnen stammt, welche dieses komplexe Werk meisterhaft ausführte, und dass sie ihre Laufbahn in diesem männerdominierten Feld mit der Unterstützung ihres Ehemannes entwickelte und nicht umgekehrt. Eher typisch erscheint dabei, dass ihr nur die Ausführung eines einzigen Gemäldes eines Zyklus von fünf vorgeschlagenen gewährt wurde. Selbst aussergewöhnliche Künstlerinnen wie Bloch oder Marion Greenwood erhielten nur eine sehr begrenzte Anzahl von Aufträgen durch die FAP. Man stelle sich vor, was sie geschaffen hätten mit den Möglichkeiten, die Greenwood in Morelia geboten wurden, oder mit dem Auftragsvolumen, das Thomas Hart Benton in der New School of Social Research in New York realisieren konnte.

Atypisch wiederum ist, dass Bloch, anders als viele ihrer Kolleginnen und Kollegen nach 1945 die Figuration beibehielt. In ihr Werk «Die Entwicklung der Musik» führte sie ungegenständliche Elemente ein, welche die Musik als solche darstellen. Diese finden ihre Entsprechung in New Yorker Werken der Epoche, wo Stuart Davis, Byron Browne, Louis Schanker und andere zum selben Thema abstrakte und halbabstrakte Gemälde für Radiostudios schufen.6 Im Nachkriegswerk Blochs drängte das dekorative Element zuweilen in den Vordergrund, wie beispielsweise in ihrer Chorwand von 1953 in Grand Rapids. Andernorts verwendete Bloch eine erzählende, fast naive Bildsprache, beginnend mit ihrem Gemälde für das Kinderheim in Flint (1946), weiter in vielen Schulgemälden und schliesslich, meisterhaft und komplex in ihrem Spätwerk «Das Netz des Lebens» in Fort Bragg (1987/88).

Die Arbeitsweise, die Netzwerke und die Ausstrahlung von Lucienne Bloch müssen noch erforscht und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, einschliesslich ihrer Arbeit als Bildhauerin, Designerin von Gebrauchsgegenständen, Originalgrafikerin und Lehrerin. Wie erwähnt, dauerte ihr Wirken bis in die 1990er-Jahre an. Es wäre spannend zu erfahren, wen sie in die Kunst des Fresko und in die visuellen Künste generell eingeführt hat.

Wie erging es Wandmalerinnen in der Schweiz?

Wäre Lucienne Blochs Leben unter der Voraussetzung, dass sie die Schweiz nie verlassen hätte, denkbar gewesen? Dies führt uns zur Frage, ob es dort Frauen mit einer vergleichbaren Laufbahn in ihrer Zeit gab. Wenige Künstlerinnen können für einen begrenzt gültigen Vergleich herangezogen werden. Marguerite Frey-Surbek (1886–1981), Malerin und Muralistin, aus Delémont und in Bern lebend, war mit dem ebenfalls erfolgreichen Wandmaler Victor Surbek (1885–1975) verheiratet. Marguerite Frey studierte um 1910 an der Académie de la Grande Chaumière von Marta Stettler (1870–1945), einem Brennpunkt der Avantgarde in Paris. Mit ihrem Ehemann gründete sie in Bern eine Schule, die zu einem Gärkessel der Modernisten in einem konservativen Umfeld wurde. Anders als Bloch konzentrierte sich Marguerite Frey-Surbek, trotz ihres sozialen Engagements, auf die Landschaftsmalerei. Ihre Wandgemälde waren gefällige, illustrative Werke. Und obwohl sie, gemessen an den Schweizer Verhältnissen, als emanzipierte Künstlerinnenpersönlichkeit gilt, stand und steht besonders ihr öffentliches Werk im Schatten desjenigen ihres Mannes. Mit Bloch gemeinsam hat sie, dass ihre Tätigkeit weit in die postmoderne Ära ragte, und sie somit die Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts mit der Nach-1968er-Generation verband.

Schweizer Künstlerinnen der Generation Blochs, die sich mit architekturbezogener Kunst beschäftigten, setzten sich oft mit einem traditionellen Frauenhandwerk auseinander: Textilien. Dies galt beispielsweise für die deutschstämmige Lissy Funk (1909–2005), und ebenso für Bertha Tappolet (1897–1974) und Louise Meyer-Strasser (1894–1974) die im Zürich der Vorkriegs- und Kriegszeit ein «kunstgewerbliches Atelier» betrieben. Die Inhalte der Werke dieser Künstlerinnen waren oft konventionell: (exotische) Tiere oder die Jahreszeiten für Schulen, die Musen, die Evangelisten, Blumenmotive. Besonders wichtig: ihr Beitrag an die Schweizerische Landesausstellung in Zurich 1939. Louise Meyer-Strassers und Bertha Tappolets Arbeit im «Pavillon der Schweizer Frau» trug den französischen Titel «Nous voulons servir notre pays», der den enormen sozialen Druck deutlich macht, der auf der öffentlichen Kunst der Zeit im Allgemeinen und der Frau im Besonderen lastete. Nichtsdestotrotz öffneten diese Frauen ihren Geschlechtsgenossinnen der nachfolgenden Generation, die sich beginnend in den 1950er-Jahren und insbesondere nach 1968 etablierten, das Feld der öffentlichen Kunst.

Anmerkungen

Literatur

Zitierweise

Alex Winiger, Lucienne Bloch (1909–1999), schweizerisch-amerikanische Muralistin, Malerin, Originalgrafikerin, Fotografin und Lehrerin, Zürich 2024, https://www.mural.ch/index.php?kat_id=t&id2=93.

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