dieser beitrag wurde verfasst in: deutsch (ger/deu/de)
verfasserin/verfasser: Lisbeth Marfurt-Elmiger
titel: Künstlergesellschaften. Kunstförderungspraxis im Ausstellungswesen zur Zeit der Nationalen
+: in: Der Bund fördert. Der Bund sammelt. 100 Jahre Kunstförderung des Bundes, Bern 1998, S. 25–39
«Die E[idgenössiche]K[unst]K[ommission] […] empfahl den Bundesbehörden ausdrucklich die Wahl eines S[schweizerischen]K[unst]V[erein]-Vertreters als Kommissionsmitglied. Darauf wurde 1904 Roman Abt, der Präsident des SKV, in die EKK berufen, ein einflussreicher Repräsentant des Laienstandes und bekannter Vermittler zwischen künstlerischen Extremen. […]
Die ersten Bemühungen Abts nach seiner Wahl in die EKK galten […] der Lösung der Subventionsfrage: Sie führten zum Beschluss der EKK, über die staatlich unterstützten Bildkäufe der SKV-Sektionen nicht länger unter Ausschluss der Betroffenen zu entscheiden, sondern darüber im Rahmen der Turnusjury gemeinsam zu bestimmen. Danach begann Abt im Auftrag der Behörden, die seit den Auseinandersetzungen um den Kunstförderungskredit allgemein angespannten Beziehungen zwischen den Institutionen zu prüfen, in der Absicht, eine Revision der geltendemn Vollziehungsverordnung vorzubereiten, welche allen an der Kunstförderung Beteiligten eine Mitsprache sichern sollte.
Die G[esellschaft]S[chweizerischer]M[aler]B[ildhauer]A[rchitekten] zog aus diesen Bestrebungen den Schluss, dass 'das geheime, unterirdische Schaffen des Kunstvereins' daraufhin angelegt war, die Stellung und Rechte der Künstlerschaft, wie sie im Reglement für die Nationale Kunstausstellung vom 5. Februar 1897 niedergelegt waren, zu untergraben. In ihren Vermutzungen bestärkt und weiter erbittert wurde die GSMBA, als der SKV, um 'mildernd und ausgleichend einzugreifen, mit Verständnis für Originalität und Fleiss, jedoch ohne Bevorzugung von zwar Althergebrachtem aber Minderwertigem', sich dazu entschloss, im Zusammenhang mit dem Turnus die Schweizerische freie Künstlervereinigung 'Sezession', die am 8. Januar 1906 in Luzern zur 'Wahrung und Förderung einer freien, von keiner Richtung und Mode beeinflussten Kunstentwicklung in der Schweiz' gegründet worden war, 'auf dem Fusse der Gleichberechtigung' mit der GSMBA zu behandeln und ihr auch Zutritt zur Turnusjury zu gewähren. Mit der Wahl des 'Sezessions'-Präsidenten Joseph Clemens Kaufmann in die EKK 1907 schien schliesslich einer konservativeren Gangart der Kunstförderung entgültig der Weg bereitet.
Die am 25. Januar 1910 vorgelegte, die Handschrift Abts tragende Vollziehungsverordnung zu den Bundesbeschlüssen vom 22. Dezember 1887 und vom 18. Juni 1898 betreffend die Förderung und Hebung der Kunst sollte die GSMBA in dieser Auffassung weitgehend bestätigen. Die neue Verordnung sah ausdrücklich vor, dass in der EKK die 'verschiedenen Kunstrichtungen' sowie 'mindestens zwei Nichtkünstler' vertreten sein mussten. Ausserdem reglementierte man die Zusammensetzung der Jury der Nationalen Kunstausstellung neu: Neben drei Mitgliedern der EKK sollten künftig acht frei wählbare Künstlervertreter in die Jury Einsitz nehmen können, was bedeutete, dass der GSMBA das ihr seit 1897 verbürgte Vorschlagsrecht, das ihr einen massgeblichen Einfluss auf das Ausstellungswesen gesichert hatte, abgesprochen wurde. Damit sollten der GSMBA die von verschiedener Seite geforderten Zügel angelegt und volksnaheren Kunstauffassungen, wie sie von der 'Sezession' vertreten wurde, breiteres Gehör verschafft werden. […]
Die Anhänger der 'Sezession' setzten sich unter anderem zusammen aus traditionsgebundenen Abtrünnigen der GSMBA, die sich dort im Zuge des Aufschwungs der Kunst [Ferdinand] Hodlers aus Austellungen und Jurys gedrängt und bei subventionierten Bilderankäufen um ihre Chancen geprellt sahen. Von der Mitgliederzahl her dürften diese Austritte für die GSMBA nicht allzusehr ins Gewicht gefallen sein. Mit Argwohn nahm man dagegen zur Kenntnis, dass die 'Sezession' vor allem in der Zentralschweiz überdurchschnittlich viele Anhänger um sich zu scharen vermöchte. […] Man empfand die Begehren dieser sonderbündlerischen 'Sezession', welche sich mit der Aufnahme von Passivmitgliedern eine solide Gefolgschaft Unzufriedener gegen die GSMBA und ihre 'Hodlerclique' sicherte und sich überdies nicht zu gut fand, auch Dilettanten den Künstlerstatus zuzusprechen – 'Bankdirektoren und pinselnden Malfräuleins der bessern Gesellschaft' –, als einen Affront gegen die Leitung der GSMBA, gegen die Künstlerschaft überhaupt.» (S. 29–30)
«Die Gründung der Schweizerischen freien Künstlervereinigung 'Sezession' im Jahre 1906 legte wie kaum je zuvor die komplexen Zusammenhänge zwischen Kunstproduktion und Kunstöffentlichkeit offen zutage. Der Kunstkrieg, der in den folgenden Jahren zwischen GSMBA und 'Sezession' Entbrannte und deren Angänger und Gegner leidenschaftlich aufeinanderprallen liess, war von höchster Bedeutung für die Entwicklung der einheimischen Kunst und ihrer staatlichen Förderung: Letztlich wurde er zu einem Prüfstein freier Kunstäusserung.» (S. 32)