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Staatlich geförderter Muralismus der 1920er- bis 1940er-Jahre

In Deutschland wurden gegen Ende der 1920er-Jahre vermehrt öffentliche Aufträge an Künstler mit modernistischem Profil erteilt, insbesondere durch Hamburgs Stadtbaumeister Fritz Schumacher (1869—1947). 1925 trat ein Programm zur Förderung und Unterstützung bildender Künstler in Hamburg in Kraft, die Schumacher bis 1933 dazu nutzte, viele seiner Staatsbauten mit zeitgenössischer Kunst auszustatten. Die Künstler gehörten im Wesentlichen der Hamburgischen Sezession an. Im Zuge der Wirtschaftsdepression ab 1929 wurden Kunst am Bau-Aufträge als Arbeitsbeschaffungsmassnahme sowohl in den USA als auch in Europa üblich, wobei der (inhaltliche und dekorative) Nutzen der Kunst für die Öffentlichkeit gängige Richtlinie war.

Grosse Erwartungen setzten in den 1920er-Jahren europäische und amerikanische Künstler in die junge Sowjetunion. Die Erfahrungen, die Künstler von (Arbeits-)Besuchen mitbrachten, waren jedoch oftmals ernüchternd (Rivera 1928, Burck 1935).

Seitens der US-amerikanischen Künstlerschaft wurde die Kunstpolitik der UdSSR in den 1930er-Jahren, die sich unter anderem an der Malerei von Ilya Repin (1844—1930) und derjenigen der künstlerischen Reformergruppe der Peredvizhniki («Wanderer», aus der manche spätere Mitglieder der Künstlervereinigung des Revolutionären Russland AKhRR stammten) ausrichtete, als provinziell respektive rückwärtsgerichtet beurteilt (vgl. Hemingway, 2002). Groys (1988) merkt an, dass die westliche Wahrnehmung der sowjetischen (und insbesondere der stalinistischen) Kunst ab Ende der 1920er-Jahre auf dem Missverständnis beruhe, es gäbe zwischen den Visionen der russischen Avantgarde der 1910er- und 1920er-Jahre und der stalinistischen Kunst ab Ende der 1920er-Jahre einen Bruch. Er argumentiert, die sowjetischen Eliten hätten in Fortführung der avantgardistischen Visionen eine überpersönliche Kunstform gesucht, die antihistorisch und im Wesen idealistisch sei. Die Darstellung Stalins oder anderer Figuren sei kein realistisches Element, sondern die mimetische «Verkleidung» des neuen Menschen, also eines abstrakten Prinzips. Die Darstellungsweisen lägen durchaus in der Zeit und wären im Wesen vergleichbar mit dem Surrealismus. Die Annahme, der Sozialismus als kollektivistisches System mache den persönlichen künstlerischen Ausdruck überflüssig, vertrat Meyer Schapiro 1938 auch in den USA. Die künstlerische Produktion aus dem Umfeld der Kommunistischen Partei der USA (CPUSA) fusste jedoch offensichtlich auf ganz anderen Prämissen und war in ihrem Wesen vielgestaltig, individuell und auf Differenz angelegt. Die zdanovistischen Versuche, amerikanische Künstler der Linken auf Linie zu bringen, führten denn auch primär zu deren Entfremdung von der Partei und bewirkte zahlreiche Austritte (vgl. Hemingway, 2002).

Abbildung Anita Rée, Die klugen und die törichten Jungfrauen, Berufsschule Uferstrasse, Hamburg, 1929 Anita Rées Werk an der Berufsschule Uferstrasse in Hamburg wurde von der (mehrheitlich weiblichen) Lehrerschaft abgelehnt und nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten überstrichen.

Abbildung Ben Shahn, Bernarda Bryson, Redemption, Roosevelt NJ, 1937—38 Abbildung Aaron Douglas, Idyll of the Deep South, Schomburg Center for Research in Black Culture, New York, 1934 Linkspolitisch aktive Künstler wie Ben Shahn, Bernarda Bryson oder Aaron Douglas rangen den Federal Art Projects und der Treasury Section of Fine Arts emanzipatorischen Mehrwert ab.

Abbildung Joe Jones, Binding the Wheat, Haggerty Museum of Art, Milwaukee, WI, 1936 Joe Jones aus St. Louis kam mit seinen Verherrlichungen des agrarischen Überflusses beim Publikum ausserordentlich gut an. Die enthaltene kollektivistische Botschaft des bekennenden Kommunisten Jones schien nicht überaus zu stören. Die Idealisierung der (Land-)Arbeit lag sowohl auf der Linie des WPA-Mainstream als auch innerhalb der sozialistischen Vision.

Abbildung Mario Sironi, L'Italia corporativa (Il lavoro fascista), Palazzo dell'informazione (Palazzo del Popolo d'Italia), piazza Cavour 2, Milano, Italia, 1936—37 Die autoritären Regimes der 1920er- und 1930er-Jahre betrieben eine eigentliche Kunstpatronage. Insbesondere in Italien wurden ca. ab 1925 zahlreiche Aufträge durch den Staat vergeben, der ein ehrgeiziges Bauprogramm verwirklichte. Ideologisch abgestützt war der faschistische Muralismus durch die Bewegungen «Gruppo del Novecento» von Margherita Sarfatti, einer Chefideologin des Faschismus, sowie der futuristischen Bewegung. Mario Sironi, Exfuturist und Novecento-Mitglied, verfasste mit dem "Manifesto della pittura murale" 1933 ein Manifest faschistischer Kulturpolitik und Propaganda.

Im nationalsozialistischen Deutschland wurde der Kunstbetrieb durch Ausgrenzung und Ermordung von Künstlern, der Elimierung der (vormals bedeutenden) jüdischen Auftraggeberschaft und einer extrem rigiden Kunstauffassung Adolf Hitlers praktisch abgewürgt. Der Staat investierte viel in repräsentative Objekte wie die Neue Reichskanzlei in Berlin oder militärische Prestigebauten Hermann Goerings. Aus der Epoche überlebte nur Weniges den Krieg und Zusammenbruch.

Abbildung Werner Peiner, Die Schlacht im Teutoburger Wald, aus: Deutsche Schicksalsschlachten, Gobelinzyklus für die Neue Reichskanzlei, Berlin, 1939 Abbildung August Blepp, Hafenbahnhof Friedrichshafen, 1933 Abbildung Franz Eichhorst, Vom Anfang des Weltkrieges bis zur nationalen Erhebung, Rathaus Schöneberg, Berlin, 1938 Abbildung Portalschmuck der Reichs-Polizei-Schule für Leibesübungen (heute: Polizeischule «Joachim Lipchitz»), Berlin, 1939—40