Siqueiros – unlöschbare Flamme der Unruhe und Widersetzlichkeit, in: Antonio Rodríguez, Der Mensch in Flammen, 1967, S. 190–191 (dieser beitrag wurde verfasst in: deutsch)
eingetragen von Alex Winiger am 01.02.2017, 21:25 (email senden)
geändert von Alex Winiger am 01.02.2017, 21:25 (email senden)
«Als Verfasser kühner Theorien, die behaupten, die Wandmalerei zu reformieren, indem sie der Malerei neue Perspektiven eröffnen, fühlte sich Siqueiros durch seine eigene dokrinäre Haltung genötigt, anspruchsvolle Projekte auszuarbeiten, die häufig mit der Wirklichkeit (Wirtschaft, Politik, Ästhetik) in Konflikt gerieten und darum unbeendet blieben. Zu dieser Kategorie gehört unter anderem, was Siqueiros Anfang 1949 in der Hochschule für Schöne Künste in San Miguel Allende einleitete. Vertraglich war bestimmt, eine Reihe von Vorlesungen über Wandmalerei zu halten, und zwar im Rahmen einer Unterrichts für nordamerikanische Kriegsveteranen. Siqueiros deutete an, dass die einzig mögliche Didaktik 'jene ist, die theoretische und praktische Kenntnisse gleichzeitig durch die Produktion eines spezifische Werkes des Lehrers oder der Klasse vermittelt.' Damit verwandelte er den Lehrstoff in eine künstlerische Kollektivübung.
Als erstes stellte der Maler eine Mannschaft von fünfundzwanzig Malern zusammen, die Studierende und Lehrer einschloss, sie sollte das aus vielen Gründen anspruchsvolle Werk ausführen. Nun suchte das Kollektiv in dem zu einer Schule umgewandelten alten Kloster nach einem geeigneten Ort. Man fand ihn leicht in einem 30 m langen, 7,30 m breiten und 6 m hohen Empfangsraum, der nicht nur durch seine Proportionen, sondern auch mit seiner prächtigen Wolbung den Bedürfnissen der 'aktiven Malerei' des durch den Maler gepriesenen 'architektonischen Raumes' entsprach. Danach begannen Siqueiros' Männer eine verwickelte, lange Arbeit, die im wesentlichen im Reinigen der Wände bestand, um 'die vom Anchitekten angelegte geometrische Unterstruktur' zu ergründen, sagte Siqueiros. Maschinen wurden konstruiert, die den Zweck hatten, 'das rhythmische geometrische Spiel der Architektur' zu wiederholen. Von der Stadt ausgehend, die den Namen eines Nationalhelden trägt, bestimmte er dann das Thema. Er studierte die Biografie und die Heldentaten des Vorkämpers, dem die Malerei huldigen sollte. Von den Motiven, Tieren und Gestalten häufte er Skizzen, Zeichnungen und Fotografien an. Er konstruierte speziell bewegliche Baugerüste. Nach den eigenen Vorlagen zog er die wesentlichen Linien der Komposition. Anschliessend korrigierte er aus der Sicht des sich in Bewegung befindenden Betrachters die Linien. Mittels Fotografie und Film überprüfte er den Fortschritt der Arbeit und zog endlich die farbigen Anfangslinien.
Alles das tat er ausführlich mit zahlreichen Versuchen und Experimenten, die für die Schüler sicherlich nützlich waren. Aber in dem Augenblick, in dem man vom Angang zur endgültigen Fassung übergehen wollte, wurde alles unterbrochen. Die Ursachen des Abbruchs mögen im dunklen bleiben; aber wiederum verliess Siqueiros ein unvollendetes Werk, das er mit grossen Ansprüchen begonnen hatte.»