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dieser beitrag wurde verfasst in: deutsch (ger/deu/de)

künstler: René Graetz, Arno Mohr, Horst Strempel

titel: Trümmer weg, baut auf

jahr: 1948

adresse: Bahnhof Friedrichstrasse, Schalterhalle, Berlin

+: Entstanden im Rahmen des SED-Aufbauprogramms für Berliner Bahnhöfe. Erstes in der Sowjetischen Besatzungszone SBZ entstandenes öffentliches Wandgemälde. Nachdem es Zielscheibe der einsetzenden Formalismusdebatte geworden war, wurde es 1951 in einer Nacht- und Nebelaktion überstrichen. Aufgrund anhaltender Angriffe verliess Strempel 1953 die DDR und siedelte nach West-Berlin um.

«Aus der gleichen Traditionsline [wie Rudolf Bergander resp. der ASSO] war schon 1945 in Berlin die 'Arbeitsgemeinschaft Sozialistischer Künstler' erwachsen. innerhalb dieser Gruppe wurde die Idee positiv aufgenommen, Berliner Bahnhöfe, denen im Zweijahrplan für 1949/1950 ausdrücklich Beachtung geschenkt worden war, mit Wandbildern auszugestalten — gleichsam als künstlerischer Beitrag zur Planrealisierung. Man erinnere sich, dass dies die Zeit der Blockadeverhängung gegen Westberlin war. Horst Strempel, zu dieser Zeit hochgelobt und schon Professor für Malerei an der Kunsthochschule in Weissensee, entwarf ein Wandbild für den Bahnhof Friedrichstrasse, während René Graetz den Entwurfsauftrag für den Schlesischen (heute: Haupt-)Bahnhof erhielt, der sich inhaltlich mit der Bodenreform-Thematik befassen sollte. Ein weiterer Entwurf [für die Reichsbahndirektion] entstand von der Hand Hermann Bruses. Wiewohl alle Entwürfe von der Reichsbahndirektion Berlin zur Ausführung akzeptiert worden waren, realisierte nur Horst Strempel, und zwar ab Mitte Oktober 1948, sein Projekt in der Schalterhalle des Bahnhofs. Die triptychonale Form lag nicht nur wegen des Erfolges mit seinem Triptychon 'Nacht über Deutschland' nahe, auch die Raumsituation unterstützte diesen Plan. Als am 18. November 1948 das Bild 'Trümmer weg, baut auf!' fertiggestellt war, setzte kurzzeitig eine Welle positiver Reaktionen ein. Doch schon einen Tag später veröffentlichte Alexander Dymschitz den ersten seiner beiden Artikel 'Über die formalistischen Richtungen in der Kunst': der Showdown der ersten Phase der Formalismusdiskussion hatte begonnen. Strempels Bild freilich schien Dymschitz noch als eines, das dem 'sozialen Auftrag' zumindest 'immer näher kommt', doch dessenungeachtet wurde seitens der Vollzugsbeamtenschaft eine Kampagne unerhörten Ausmasses entfacht. Als Strempels Bild 1951 vernichtet worden war (Graetz und Bruse nahmen aufgrund der Kampagne von der Umsetzung ihrer Entwürfe Abstand), war damit gleichzeitig ein ganzes Traditionsgeflecht denunziert worden. Denn Stempel hatte bei der Formensprache der zweiten Generation der Expressionisten, zu denen etwa Conrad Felixmüller, Richard Horn oder Karl Völker gehörten, angeknüpft und Bezüge zur nachrevolutionären russischen Malerei, speziell zu Alexander Deineka, hergestellt. Im gleichen Moment nahm er eine Uminterpretation christlicher Ikonographie vor. Und nicht zuletzt versuchte er, auch die zeitgenössische sozialistische Motivik, nämlich den Häuer mit Presslufthammer, einzubauen: Am 13. Oktober 1948 fuhr Adolf Hennecke seine (wohlvorbereitete) Spitzenschicht — von da an waren die Attribute der 'Stachanow'-Arbeiter wesentliche Bestandteile der DDR-Ikonographie.» (Guth 1995, S. 78—79)

«Am Ende der Nachkriegsepoche und mit der Gründung des Staates DDR am 7.10.1949 hatte sich auch das Problem der Nicht-Verständigung zwischen Parteiführung, Künstlern und Volk manifestiert. Schon die Angriffe gegen Horst Strempel und sein Bild in Berlin hatten deutlich gemacht: es war aus politischer Räson abgelehnt worden, doch nicht nur ihretwegen. Es hatte sich die deutliche Kluft zwischen der im Kern tief traditionalistischen, antibürgerlichen, sehr wohl aber kleinbürgerlichen Politführung, der Mehrheit der Menschen und dem erwünschten Standard der Einsicht in gesellschaftliche Prozesse nicht überbrücken lassen. […] die politisch begründete und traditionalistisch untersetzte Ablehung dieser Kunst seitens der Parteiführung konnte sich der mehrheitlichen Ablehnung beim Publikum sicher sein. Diese populistische Reverenz macht die politische Attacke so abstossend. Beide Grundhaltungen, die in der proletarischen Kunst (keinesfalls im 'Proletkultischen') wurzelnde und die sich mit unterschiedlichen Bezügen zur deutschen oder internationalen Moderne bekennende, waren am Ende dieser Epoche diskreditiert worden.» (Guth 1995, S. 90—91)

«[…] beschloss das ZK der SED auf seiner 5. Tagung vom 15. bis zum 17. März 1951 wegweisende Richtlinien für eine künftige Kulturpolitik und forderte in dem Beschluss „Der Kampf gegen den Formalismus in Kunst und Literatur, für eine fortschrittliche deutsche Kultur" die Hinwendung zum Sozialistischen Realismus sowjetischer Prägung. Der Formalismus, so unter anderem die Begründung, sehe die „Bedeutung eines Kunstwerkes nicht in seinem Inhalt, sondern in seiner Form". Und weiter: „Formgebung in der Kunst, die nicht vom Inhalt des Kunstwerkes bestimmt wird, führt in die Abstraktion." Im Interesse einer Veranschaulichung dessen, was die Parteiführung konkret unter formalistischer Kunst verstand, wurde dem Dekret eine Auflistung von exemplarischen Werken beigefügt. Eine solche Illustration der kunstpolitischen Argumentation war notwendig geworden, musste die SED doch erkennen, dass die Anschaulichkeit ihrer Zielsetzungen im Verlauf der Formalismus-Debatte drastisch abgenommen hatte und dass in zunehmendem Maße weder Parteifunktionäre noch Künstler eine Vorstellung von den offiziellen Ansichten der Partei hatten. An erster Stelle dieser Liste erschien das Wandbild „Trümmer weg, baut auf" von Horst Strempel, welches dieser in den Monaten Oktober und November des Jahres 1948 im Bahnhof Friedrichstraße im Rahmen des SED-Aufbauprogramms für Berliner Bahnhöfe geschaffen hatte. [Das Aufbauprogramm der SED basierte auf den Entwürfen des französischen Malers Gustave Courbet, der bereits im Jahr 1870 im Vorfeld der Pariser Kommune geplant hatte, die Pariser Bahnhöfe mit Wandgemälden zu verschönern.] Strempels Wandbild war als erstes Kunstwerk im öffentlichen Raum nach Ende des Krieges entstanden und hatte für großes Erstaunen in der Berliner Bevölkerung, aber auch für öffentliche Kritik in der Presse gesorgt. [Während beispielsweise der Westberliner „Telegraf' in seiner Ausgabe vom 1.12.1948 Strempels Figuren als vorbildliche Arbeiteraktivisten in der Tradition der nationalsozialistischen Kunst diffamierte, beeilte sich die Ostberliner Kunstkritik, Strempels Wandbild im Kontext der Formalismus-Debatte als exemplarisches Beispiel für formalistisches Kunstschaffen zu kritisieren. Obgleich die künstlerisch-dekorative Wirkung wie der ideelle Gehalt des Bildes Lob erfuhren, bemängelten die ostdeutschen Kritiker die Darstellungsweise der Menschen, die in ihrer abstrahierten und symbolhaften Erscheinung nicht dem neuen sozialistischen Menschenbild entsprachen. Hieraus resultiere, so die Kritiker, dass sich die Betrachter nicht mit den dargestellten Menschen identifizieren könnten. Außerdem wurde angemahnt, dass Strempel die Kraft der Arbeiterklasse in Form von Muskeln darstellte und nicht als Folge ihrer Ideologie.] Neben Strempels Arbeit fanden sich auch einige Wandbilder des Hallenser Kollektivs Willi Sitte, Hermann Bachmann und Fritz Rübbert auf der Liste der missliebigen Kunstwerke, welche im Frühjahr 1951 ins Zentrum der Kritik rücken und den Höhepunkt der Formalismus-Debatte einleiten sollten.» (aus: Kenzler 2010, S. 53—54)

«Horst Strempel, 49, ehemals Professor an der Kunsthochschule im Ostberliner Weißensee und nun nichtanerkannter Flüchtling in Westberlin, alter Parteikommunist, doch vielfach beglaubigter lauterer Weltverbesserer, beteiligt sich nicht am Befreiungstaumel seiner Kollegen. "Der Neue Kurs" verspricht ihm keine Einkehr bei den alten Idealen des Sozialismus, sondern nur einige vom Fiasko erzwungene Rückzieher. Die auszunutzen, was man ihm nach dem 17. Juni östlicherseits angetragen hat, ist der Maler Strempel zu radikal und zu aufrichtig.

Horst Strempel ist wohl der einzige Maler, den beinahe jeder Berliner Arbeiter kennt. Denn Strempel hat jenen überlebensgroßen Werktätigen mit Spitzhacke entworfen, der in der Schalterhalle des sowjetsektoralen Bahnhofs Friedrichstraße oberhalb der Toiletten dahinstürmte.

Dieses Wandbild, wie die meisten Arbeiten von Strempel ein "soziales Thema in großen, lesbaren Zeichen" ("Der Tagesspiegel"), brachte dem Meister erst offizielles Lob, später offizielle Verdammung. Die Ostpresse schäumte geschlossen los: "Eine Beleidigung für jeden klassenbewußten Arbeiter ...", "altägyptische Helotengestalten", "Roboter", "die Analogie mit dem kulturellen Verfall im alten Rom drängt sich geradezu auf". Noch Jahre, nachdem man den Spitzhacken-Mann überpinselt hatte, warf ein Kulturfunktionär beim Verhör dem Künstler vor: ohne ihn hätte die "DDR"-Kunst sich anders und besser entwickelt.» (aus: Der Spiegel, 21.10.1953)