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Moderner Muralismus in der Stadt Mexiko – Ein einführender Rundgang

von Alex Winiger, Oktober 2017 («feliz día de muertos…»)

Reiseführer konfrontieren Besucher gewöhnlich als erstes mit Diego Riveras zwei Wandgemäldezyklen im Mexikanischen Nationalpalast. Zuallererst aus praktischen Gründen. Auch ohne Reiseführer wird der Tourist seinen Rundgang mit grosser Wahrscheinlichkeit auf dem Zocaló, der 'Plaza de la Constitución' im Centro historico, mit dem Besuch der Kathedrale, dem Nationalpalast und eventuell dem aztekischen Templo mayor beginnen. Den mit dem mexikanischen Muralismus nicht vertrauten Betrachter wird der Horror vacui der 'Epopeya' Riveras zweifellos beinahe erschlagen, vielleicht verblüffen, unter Umständen irritieren (mit seiner Spanne von Quetzalcóatl zu Marx), aber kaum durch Anmut und Schönheit berücken. Der späte Zyklus in den Korridoren im Obergeschoss ist zweifellos bezaubernd, eine bilderbuchhafte Märchenwelt, aber keinesfalls ein Schlüssel zum Verständnis des modernen Muralismus.

Auch das Polyforum Siqueiros, die grösste Arbeit von David Alfaro Siqueiros, wirkt auf den unvorbereiteten Besucher eher kurios. Der prominenteste Zyklus von José Clemente Orozco wiederum, die Ausmalung des Hospicio Cabañas, befindet sich nicht in Mexiko Stadt, sondern in Guadalajara, mehrere hundert Kilometer westlich der Hauptstadt im Bundesstaat Jalisco gelegen.

Hier sei eine Annäherung an diese Kunstform vorgeschlagen, in wenigen, mehrheitlich im Zentrum der Stadt Mexico gelegenen und damit leicht zu besichtigenden Werken.

Nuclei des mexikanischen Muralismus: San Ildefonso, SEP, Abelardo Rodríguez

Nur wenige Strassenzüge voneinander entfernt liegen die Orte, an denen der mexikanische Muralismus entstand, Werke aller grossen Protagonisten vertreten sind und wo die Begegnung des mexikanischen Muralismus mit der amerikanischen Public Art der 1930er-Jahre stattfand.

Antiguo Colegio de San Ildefonso, Justo Sierra 16 (historisches Zentrum)

Zusammen mit dem (nahe gelegenen) Colegio Máximo de San Pedro y Pablo bildete das Colegio de San Ildefonso (nach 1920 eine Sekundarschule) die Wiege und ein erstes Experimentierfeld für den mexikanischen Muralismus. Initiator war hauptsächlich José Vasconcelos Calderón, Erziehungsminister während der Regierungszeit von Alvaro Obregón 1921 bis 1924. Mexiko stand nach der Revolution und einem zehnjährigen Bürgerkrieg vor der Aufgabe, eine neue nationale, mestizische Identität zu entwickeln und diese einer mehrheitlich analphabethischen Bevölkerung zu vermitteln.

Vasconcelos berief eine Reihe von (grösstenteils in Europa ausgebildeten) Künstler, nahm diese auf Exkursionen zu Ausgrabungsstätten der präkolumbianischen Antike mit und beauftragte sie, Inhalte und eine Formensprache zu entwickeln, die den neuen Staat entwickeln helfen würden. Testfeld waren Schulen und Ministeriumsgebäude. Vasconcelos musste seine Arbeit nach der Wahl des konservativen Plutarco Elias Calles 1924 einstellen. Die Programme blieben jedoch teilweise darüber hinaus bestehen.

San Ildefonso beherbergt Frühwerke aller bekannten Muralisten der ersten Generation. Der experimentelle Charakter wird besonders gut sichtbar am Werk La creación von Diego Rivera, dem die Bewunderung der italienischen Renaissance Riveras noch gut anzusehen ist, während die für sein späteres Werk charakteristischen Adaptionen der indianischen Wandbilder und Illustrationen noch ganz fehlen. Manche Werke sind in Enkaustik ausgeführt, einer Technik, die später zugunsten des Fresko und (im Fall Siqueiros') synthetischer Farben aufgegeben wurde.

Secretaría de educación pública SEP, Argentina 28 (historisches Zentrum): Anfänge und erste Hochblüte des Werks Diego Riveras. Revolutionärer Impetus und Intendantentum.

Die Zyklen Riveras (mit einzelnen Werken weiterer Künstler wie Jean Charlots) zeugen vom Arbeitsfuror des Meisters, der in diesem anfänglich kollektiv angelegten Werk rasch die Führung übernahm und seine Kollegen damit verstimmte, dass er 'ihre' Flächen programmierte und zuweilen auch übermalte. Riveras Beschäftigung in der SEP überlebte als Einzige die Absetzung José Vasconcelos Calderóns. Das Ergebnis ist ein äusserst umfangreicher Bilderreigen, der die Entwicklung von anfangs eher hölzernen, didaktischen Erzählungen zu den für ihn so charakteristischen stimmungsvollen, figurenreichen und verwobenen Darstellungen aufspannt.

Mercado Abelardo L. Rodríguez, Calejon Giron (historisches Zentrum)

Während die Dekoration von San Ildefonso und der SEP von der Aufbaustimmung der Ära Obregon der frühen 1920er-Jahre geprägt sind, ist der Mercado Abelardo Rodríguez mit seinen Bildern ein Ausdruck der Ära Cárdenas mit ihren grundlegenden Reformen und Verstaatlichungen. Die Konfrontation der politischen Blöcke wird deutlich, das Bild ist zu einem expliziten politischen Kampfinstrument geworden. Im neuen Markt waren hauptsächlich eher unerfahrene Jünger Riveras am Werk, die hier grosse Gestaltungsfreiheit genossen. In der Gesamtheit wirkt die Ausmalung heterogen, beinhaltet aber viele Überraschungen und Highlights. Bemerkenswert ist insbesondere, dass durch die Vermittlung von Pablo O'Higgins, der Rivera assistiert hatte und mit einem eigenen Werk im Markt vertreten ist, mehrere US-Amerikaner am Projekt teilnahmen. Die Schwestern Grace und Marion Greenwood konnten später in den USA mehrere WPA-Wandgemälde ausführen, Marion Greenwood weitere Werke nach dem Ende der Roosevelt-Ära. Isamu Noguchi wurde als Bildhauer und Designer international bekannt.

Die grossen Drei der ersten Muralistengeneration: Orozco, Rivera, Siqueiros

Das Werk der 'Tres Grandes' lässt sich selbstverständlich bei Weitem nicht durch die drei vorgestellten Arbeiten repräsentieren. Orozcos Hauptwerke befinden sich in Guadalajara, Guanajuato und den USA, während Siqueiros' vielgestaltiges und zum Teil fragmentarisches Werk schwer in einer Einzelarbeit erfassen lässt. Von beiden habe ich eine Arbeit in den Rundgang aufgenommen, die mir sehr charakteristisch erscheint. Aus dem Riesenopus Riveras wiederum habe ich pars pro toto dasjenige aufgenommen, das mich durch seine Ganzheit und Schönheit am meisten berührt hat.

Templo Jesús Nazareno, Pino Suarez con Républica de El Salvador (historisches Zentrum): Orozcos Apokalypse

Der Weltuntergang ist ein Thema, das José Clemente Orozcos Werk vom Anfang bis zum Schluss durchzieht. Prunksucht, Korruption, Gewalt, Aberglaube und Verzweiflung sind die Zutaten des Niedergangs, der in diesem fulminanten Spätwerk zur Auflösung jeder Ordnung führt. Es bündelt Elemente seines Gesamtwerks, das so ganz ohne Optimismus (wenn auch nicht ohne Heroismus) auskommt.

Capilla de Chapingo, Texcoco, Estado de México: Riveras Sixtina, ein revolutionäres Märchen

Die Hacienda und Kapelle der Agrarschule von Chapingo beherbergen mehrere Werke von Diego Rivera und Xavier Guerrero. Riveras Kapellenausmalung gehört jedoch zum poetischsten, das der Grossmeister der mexikanischen Wandbildkunst realisiert hat.

Die Bemalung teilt sich auf in die allegorischen Darstellungen in den Deckenfeldern, eine revolutionäre Bildergeschichte an den Seitenwänden und die den Raum beherrschende Darstellungen auf der Stirnwand, dominiert durch das Portrait der schwangeren Guadalupe Marín, die die Fruchtbarkeit der Erde und den Subkontinent Mexiko gleichzeitig verkörpert.

Das Werk vereinigt graphische Stringenz, sinnliche Körperlichkeit und erzählerischen Reichtum. Dank der einfachen architektonischen Ordnung wirkt es fokussiert und strukturiert. Bestandteile wie die Märtyrergestalten, Szenen der Unterdrückung und Befreiung, Allegorien der natürlichen Elemente und Symbole wie der rote Stern oder Hammer und Sichel wirken hier selbstverständlich an ihrem Ort, während sie in der SEP noch additiv und vordergründig auftreten.

Ex-Aduana de Santo Domingo, Republica de Brasil 31 (historisches Zentrum): Siqueiros' Rastlosigkeit

Vieles in diesem Werk David Alfaro Siqueiros' steht für sein Gesamtwerk, seine Bedeutung insgesamt und seine grosse Wirkung auf Schüler wie Arnold Belkin, aber auch seine Ausstrahlung über den Muralismus hinaus, namentlich die Spraycan-Art.

Siqueiros inszenierte seine Baustellen oft als kollektive Experimente, Lehrstücke und technische Versuche. Mit Vorgaben seitens der Auftraggeber ging er selbstherrlich um, die eigene Genialität stand ihm ausser Frage. So waren auch die 'Patricios' ein gross angelegtes Werk mit vielen Unwägbarkeiten. Der technische Aufwand mit Projektionsanlagen, Celotex-Einbauten zur Überformung der vorhandenen architektonischen Gegebenheiten, die Verwendung von Kunstharzfarbe aus der Spritzpistole gaben bereits zur Entstehungszeit Anlass zu Kritik und Häme von Kollegen, unter anderem Diego Riveras, der die Verblendungen im Treppenhaus des ehemaligen Zollhauses als 'Rattennester' bezeichnete. In der Lebens- und Arbeitsweise Siqueiros' lag aber auch seine grosse Ausstrahlung begründet. Er bezog viele Mitarbeiter ein und bezeichnete die Arbeit als kollektiv (obwohl sie immer bis ins Letzte seine Handschrift trug). Er war international tätig, namentlich in den USA und Lateinamerika. Und er nutzte seine politischen und künstlerischen Provokationen, sich und seinem Werk Notorietät zu verschaffen.

Die Unfertigkeit dieses und vieler anderer Werke Siqueiros' legen zudem seine Arbeitsweise offen. Der Entwurf und die Überarbeitung der Figuren und Formen kann gut nachvollzogen werden. Zugrunde liegt oft ein 'dynamistisches' Konzept, wie der Raum bildnerisch erschlossen werden soll und wie der Betrachter an verschiedenen Orten einbezogen wird. Die Flächen und Figuren sind zu diesem Zeitpunkt völlig schematisch gesetzt. Später formte er die Volumen und die Farbigkeit in einer Weise aus, die heute durch die Spraycan-Art sehr präsent ist, zum Zeitpunkt der Entstehung der Werke Siqueiros' aber noch weitgehend unbekannt war.

'Patricios y patricidos' ist pathetisch und gewaltig, aber verglichen mit anderen Werken Siqueiros' weniger pompös und sexuell unterlegt. Er scheut aber auch hier nicht davor zurück, den Verrat am Vaterland im Dienst des Imperialismus mit dem Teufel selber zu personifizieren.

Institutionelle Repräsentation und Synthèse des arts plastiques

Nach einem unruhigen nachrevolutionären Jahrzehnt wurde 1929 der Partido Nacional Revolucionario PNR, die Vorgängerpartei des PRI, gegründet. Die Interessen der Mächtigen sollten fortan institutionell austariert werden. Der Staat wurde insbesondere von kommunistisch orientierten Muralisten wie David Alfaro Siqueiros nicht mehr als revolutionäre Instanz akzeptiert. Unter diesen Vorzeichen wurde Diego Rivera mit dem Auftrag im Nationalpalast, später im Gesundheitsministerium betraut und wurde damit zum Staatskünstler Nummer eins. Er füllte diese Rolle ambivalent aus, nahm sich (bildnerische) Kritik heraus und verabschiedete sich zeitweise von der nationalen Bühne, um sich prestigeträchtigen und finanziell lukrativeren Projekten in den USA zu widmen. Auch andere Stars der Muralistenszene verliessen zeitweise Mexiko, um dann ab den 1940er-Jahren wieder vermehrt in Mexiko zu arbeiten. Ab 1945 stiessen Vertreter einer jüngeren Generation hinzu, die ihr Metier an einer Schule wie der 'Esmeralda' oder dem 'Instituto Politécnico Nacional' gelernt hatten. Während sich die architektonische Moderne in Mexiko nicht zuletzt dank vieler europäischer Immigranten rasch etablieren konnte, blieb die künstlerische Gestaltung namentlich durch Wandbilder noch lange den (figurativen und emanzipatorischen) Idealen der ersten Generation verpflichtet. Die 'Integration der plastischen Künste' der 1950er-Jahre diente in Mexiko nicht primär der bildnerischen Strukturierung des architektonischen Raums, sondern der figurativ-narrativen Überhöhung des Zwecks moderner Gebäudekomplexe.

Palacio nacional, Plaza de la Constitución (historisches Zentrum)

Rivera arbeitete mit Unterbrüchen von 1929 bis 1951 im Nationalpalast. Der Zyklus im zentralen Treppenaufgang erzählt die Geschichte Mexikos von der (aztekischen) Antike bis zur Gegenwart, mit einem Ausblick in eine industrialisierte und sozialistische Zukunft. Historische und mythische Episoden sind dichtgedrängt ineinander verschachtelt. Schlüsselszenen stehen für Epochen und Wendepunkte der Geschichte, die die mexikanische Identität formten (wie etwa die Hinrichtung des gegenreformerischen Kaisers Maximilian).

Der Zyklus aus den 1940er-Jahren im Obergeschoss schildert in einer Folge von Schautafeln die Welt der indigenen Völker vor der Conquista. Während diese – charakteristisch für Rivera – idyllisch wirken, ist die postkolumbianische Geschichte tumultös und antagonistisch dargestellt. Das marxistische Geschichtsverständnis einer stufenweisen revolutionären Entwicklung verschränkt sich mit dem mestizischen Nationalismus und seinen Helden wie Hidalgo und Juárez.

Rivera unterbrach die Arbeit an der 'Epopeya' während seiner Aufenthalte in San Francisco, Detroit und New York 1931 bis 1933. Der Hin- und Rücktransfer von Formen und Themen wird im Vergleich mit den dort ausgeführten Werken 'Man and Machine' und 'Man at the Crossroads' deutlich. Victor Arnautoff wiederum, der Rivera um 1930 assistierte, gehörte später zu den Initianten der Public Works of Art Projects in San Francisco.

Riveras Werk im Nationalpalast markiert den Höhepunkt seines Schaffens und repräsentiert zugleich das ausgereifte offizielle Geschichtsbild des postrevolutionären Mexikos, das von da an während Jahrzehnten tradiert wurde, nicht zuletzt in zahllosen Wandbildern nachfolgender Künstler.

Secretaría de Comunicaciones y Obras Públicas SCOP (heute: Secretaría de Comunicaciones y Transportes SCT), Eje Central Lázaro Cárdenas, Eje 4 Sur Xola, avenida Universidad y calle de Cumbres de Acutzingo (Narvarte, D.F.)

Das Kommunikations- und Bauministerium von 1953 war wie viele Regierungs- und Universitätskomplexe dieser Zeit ein 'grosser Wurf', eine Gesamtanlage aus einem Guss mit beachtlichen Dimensionen. Um 1950 war es nicht aussergewöhnlich, derartige Anlagen mit einem hochdotierten Gestaltungs- und Kunstkonzept auszustatten. Wie die gleichzeitig entstandenen Wandgestaltungen in der der Universitätsstadt wurden auch die Mosaike der SCOP gewissermassen gegen die rationale, strenge Form der Gebäude und ihrer Fassaden ausgespielt. Aus der Ferne gesehen erhalten die Bilder einen volkstümlich-textilen Charakter. Anders als im Fall der Universität wurde hier sowohl architektonisch als auch bildnerisch die Einheit gesucht. Die Fassadengestaltungen stammen grösstenteils von Juan O'Gorman und José Chávez Morado und wirken nicht zuletzt wegen der thematischen Nähe der verschiedenen Teile und ihrem Rückgriff auf die Bilderwelt der aztekischen Kodizes kompakt.

Im Gegensatz zu den Wandbildgestaltungen der 1920er- und 1930er-Jahre, die sich noch vorwiegend im Innern von Gebäuden befinden, die entweder kolonial oder der kolonialen Architektur nachempfunden sind, tragen die modernen Anlagen der Zeit nach 1945 grossflächige Kunstwerke an ihren Aussenfassaden oder in mehrgeschossigen, repräsentativen Hallen. Wände sind in der Regel bündig ausgefüllt. Die Aussenfassaden sind auf (dekorative) Fernwirkung ausgelegt. Figurative Details treten zurück hinter der farbigen und ornamentalen Gesamtwirkung. Inhalte werden in verknappten Zeichen und einfach lesbaren Figuren vermittelt.

Die Anlage stürzte beim Erdbeben 1985 teilweise ein. Viele der Gebäude und Mosaike wurden jedoch in aufwändiger Arbeit gerettet.

Brüche. Niedergang der Moderne. Zerstörungen. Spätgeborene. Internationalisierung

Bereits in den allerersten Zügen der muralistischen Bewegung hielten sich wichtige Vertreter hinsichtlich der Adaption des revolutionären Gedankenguts abseits, namentlich Gerardo Murillo, Roberto Montenegro und Adolfo Best Maugard. Frühe Vorreiter der Abstraktion waren Carlos Mérida und Rufino Tamayo. In der Zeit nach 1950 fand eine eigentliche Absetzbewegung statt. Manche Mitglieder der 'Generación de la ruptura' führten zwar monumentale Gemälde aus, distanzierten sich jedoch von den Inhalten und der figurativen Ausdrucksweise der Gründergeneration des Muralismus.

Drei weitere Prozesse führten zu einer allmählichen Zersetzung der muralistischen Bewegung respektive deren Werke: das Epigonentum, die Vernachlässigung und Zerstörung sowie die Internationalisierung.

Antiguo Colegio Máximo San Pedro y San Pablo (heute: Museo de las Constituciones de la UNAM), Carmen 31, esq. con San Ildefonso (historisches Zentrum): Roberto Montenegros Lebensbaum

Montenegros Lebensbaum gehört zu den ersten von Vasconcelos in Auftrag gegebenen Werken. Er gab sich in diesem keine Mühe, sich vom Symbolismus, den er sich in Europa angeeignet hatte, zu distanzieren. In diesem Sinn verblieb Montenegro in einer bildnerischen Tradition des Porfirismo. Später neigte er einer surrealistischen Ausdrucksweise zu.

Museo Soumaya, Plaza Loreto y Plaza Carso: die monumentale Poesie Tamayos im Dienst des Konsums

Die figurativ-abstrakten Gemälde 'Noche y día' und 'Naturaleza muerta', die Rufino Tamayo 1954 für Sanborns schuf, dienten praktisch als erste Monumentalwerke eines mexikanischen Muralisten dekorativen (oder besser: kontemplativen) Zwecken und setzten sich damit markant von der 'mexikanischen Schule' ab. Tamayo hatte noch in den 1930er-Jahren die expliziten Inhalte der Revolution dargestellt.

Biblioteca Miguel Lerdo de Tejada, República de El Salvador 49 (historisches Zentrum): Kibalchichs Antimuralismus

Das seltsamste Werk eines prominenten Muralisten kann wiederum in unmittelbarer Nachbarschaft der Geburtsstätten des Bewegung besichtigt werden. Vlady Kibalchich malte in der besagten Bibliothek einen postmodernistischen Abgesang auf den Muralismus, der mit der Lesbarkeit spielt, ohne sie einzulösen und ziemlich alles unternimmt, um die beherbergende Architektur visuell aufzulösen.

Universidad Autónoma Metropolitana de Iztapalapa, Avenida San Rafael Atlixco 186 (Iztapalapa, D.F.): Belkins Artifizialisierung

Ein Siqueiros-Jünger, schaffte es Arnold Belkin, mittels einer ins Extreme getriebenen Artifizialisierung das Niveau seines Vorbilds fast zu halten. Die augenfällige Nähe des Ausdrucks Belkin's zu ostdeutschen Werken ist vermutlich dem Inhalt und (sozialistischen) Zeitgeist geschuldet.

Escuela Domingo Faustino Sarmiento, Parque Jardín Balbuena núm. 34 (Aeronáutica Militar, D.F.): Máximo Pachecos beinahe verschwundenes Werk

Der grosse Zyklus Pachecos aus den 1920er-Jahren entging mit Glück seiner Vernichtung. Der Abriss des Gebäudes war 1969 beschlossene Sache. Der Maler, obwohl Muralist der ersten Stunde kaum je prominent, war zu diesem Zeitpunkt praktisch in Vergessenheit gegangen. Dem Widerstand von Fachkreisen und der schliesslichen Intervention der argentinischen Botschaft ist es zu verdanken, dass der Zyklus wenigstens zu einem Teil noch existiert. Das Werk ist jedoch wegen dem schlechten Gebäudezustand permanent gefährdet.

Viele hervorragende Werke in ganz Mexico verschwanden und verschwinden noch heute aus Ignoranz, Mangel an Mitteln zu ihrer Erhaltung oder Profitinteressen. Grosse Verdienste in der Erforschung, Vermittlung und Rettung von Werken wie demjenigen Pachecos hat sich die 'Crónicas'-Forschungsgruppe am Instituto de Investigaciones estéticas an der UNAM erworben. Dies ist angesichts der enormen demographischen Umwälzungen, die sich unter anderem im rasanten Wachstum der Stadt Mexiko niederschlägt, allerdings beinahe ein Kampf gegen Windmühlen.

Centro Médico Nacional Siglo XXI, Av. Cuauhtémoc 330 (Doctores, D.F.): Zerrissene Eleganz

Das grosse Krankenhaus im Zentrum der Stadt Mexiko, wie die Universitätsstadt ein Prestigeprojekt der 1950er-Jahre, erlitt im Erdbeben des 19. September 1985 massive Zerstörungen. Tausende starben. Viele Gebäude wichen gesichtslosen, klobigen Ersatzbauten. Die Kunstwerke des Spitals konnten grösstenteils gerettet werden, wurden aber oftmals deplaziert. Zu diesen zählt Siqueiros' 'Apología de la futura victoria de la ciencia médica contra el cáncer' von 1958, das, vormals in einen relativ niedrigen Warteraum einpasst, nun inmitten einer mehrgeschossigen Halle schwebt.

Andere Werke wurden anlässlich des Wiederaufbaus neu geschaffen. Das prominenteste ist das riesige Wandbild 'Homenaje al rescate' (1988–89) von José Chávez Morado in der neuen Eingangshalle des Spitalkomplexes. Bei aller postmodernen Verschrobenheit hat es in der Thematisierung des Dramas des 19. Septembers doch etwas Ergreifendes.

Die vielen Erdbeben Mexikos stellen eine permanente Bedrohung des baulichen Erbes dar. Zerstörungen an historischen Gebäuden können zum Anlass für eine forcierte Verdichtung werden, wie entlang der Alameda Central und dem Paseo Reforma besonders gut sichtbar.

STC (Metro), Haltestelle Chabacano: Internationale Mondänität

Die Keramikwandbilder 'Civilización y cultura' des portugiesischen Künstlers José de Guimarães von 1996 befindet sich bezeichnenderweise in einer Metrostation. In Mexikos Metro wurde Internationalität und eine gewisse thematische Freiheit stärker gefördert wurden als im sonstigen öffentlichen Raum. Der Bau der Metro begann 1968 zeitgleich mit den olympischen Spielen in der Stadt Mexiko. Die Servicios de Transporte Público STC besitzen eine eigene professionell betreute Kunstsammlung.

Epilog: Streetart und Strassenkunst

Mit dem Untergang der Alleinherrschaft der Partei der institutionalisierten Revolution PRI um das Jahr 2000 endete auch die Ära der monumentalen Wandbildkunst Mexikos. Sie wird seither als historische Substanz teils verehrt und hochgehalten, teils vernachlässigt und zerstört. An den Mauern erscheinen neuerdings neben Werken einer aktuellen, internationalen Streetart auch lokale Beispiele einer Strassenkunst, die die Symbolik des mexikanischen Muralismus in einer rudimentären Form weiterpflegen.

Calle Constancia y Av. Paseo de la Reforma (Tepito, D.F.): Gastspiel europäischer Streetart

Die italienischen Street-Artisten Ericailcane und Hitnes sind in Lateinamerika sehr aktiv und haben auch in Mexico mehrere Wandgemälde geschaffen. Ericailcanes groteske Tiergestalten sind im grossen Massstab sehr wirkungsvoll, obwohl seine Arbeit ihre Wurzeln in graphischen Illustrationen des 19. Jahrhunderts hat.

Pedregal de Santo Domingo (Coyoacán, D.F.): vergängliche Strassenkunst in der Tradition des Muralismus

Graffiti in Mexico tradieren oft Elemente des Volkstums und Topoi des modernen Muralismus. Besonders oft wird die Jungfrau von Guadalupe dargestellt, oft auch aztekische Figuren oder Symbole, an Friedhöfen tanzende Skelette in Bekleidung ähnlich denen José Posadas. Der Pedregal de Santo Domingo ist ein geschlossenes, armes Quartier in unmittelbarer Nachbarschaft der Universitätsstadt. Die jungen Strassenkünstler treffen oft Vereinbarungen mit den Hausbesitzern und malen ihre Bilder mit wasserlöslicher Farbe, die mit der Zeit von selber wieder verschwindet.