dieser beitrag wurde verfasst in: deutsch (ger/deu/de)
künstler: Giuseppe Scartezzini
titel: Christi Geburt. Christus am Ölberg
jahr: 1926
adresse: Ortsmuseum (ehemals: Dorfkirche), Dorfstrasse 24D, Wiesendangen ZH, Schweiz
+: 2 Kirchenfenster. 1926 eingesetzt und wieder entfernt
«In der kleinen, durch ihre mittelalterlichen Fresken berühmten Dorfkirche von Wiesendangen bei Winterthur sind dieses Frühjahr vier von Privaten gestiftete Glasgemälde von Giuseppe Scartezzini eingesetzt worden. Wir haben sie im Mai an dieser Stelle mit andern Arbeiten des Künstlers publiziert. Nun hat am 11. Juli die Kirchgemeindeversammlung die Entfernung der Fenster beschlossen, auf Grund eines Gutachtens von Herrn Kantonsbaumeister Fietz und Herrn Prof. Lehmann, Direktor des Landesmuseums, das, wie Herr Prof. Lehmann uns mitteilt, die künstlerische Qualität der Arbeiten Scartezzinis anerkennt, an ihnen aber tadelt, dass sie eine Verdunkelung der Kirche bewirken und mit den alten Chorfresken nicht harmonieren. Das sind Einwände, welche vor der Einsetzung der Scheiben hätten erhoben werden sollen. Wir hoffen, dass das zürcherische kantonale Baudepartement den Rekurs, der beim Bezirksrat Winterthur anhängig ist, kräftig unterstützen wird. Herr Kantonsbaumeister Fietz hat sich seinerzeit für die Erhaltung einiger harmloser Gewölbemalereien in Stammheim wie ein Löwe gewehrt. Und heute?»
(in: Das Werk, Bd. 13 (1926), Heft 9, S. 267)
«An der Spanischen Grippe 1918/19 starben weltweit rund 22 Millionen Menschen, 24'000 davon in der Schweiz. Eines der Opfer war Hans Bachmann (1889–1918), ein Bewunderer Guiseppe Scartezzinis. Dr. phil. Hans Bachmann war Assistent am Schweizerischen Landesmuseum. Er verfügte testamentarisch, dass der damals erst 23-jährige Künstler auf seine Kosten für die Kirche Wiesendangen ein Glasgemälde ausführen solle. Bachmann muss ein grenzenloses Vertrauen in seinen Freund gehabt haben, der vorläufig hauptberuflich als technischer Zeichner arbeitete und sich in der Glasmalerei noch in kener Weise auskannte. Der letzte Wille Bachmanns war es, der Giuseppe Scartezzini fünf Jahre später zum Glasmaler machte.»
(Peter Killer, in: Fritz Billeter et al. 2005, S. 53)
«Die reformierte Pfarrkirche von Wiesendangen ist ein spätgotisches Landkirchlein, das auf romanischen Fundamenten steht. Die Kunstgeschichtler kennen es wegen der Fresken im Chor, die die selten behandelte Legende vom Heiligen Kreuz illustrieren. Im Zug der Reformation sind sie übertüncht und erst 1914 wieder ans Licht gebracht worden. Während des reformatorischen Bildersturms dürften auch die Bildfenster herausgebrochen und durch klares Glas ersetzt worden sein. Im Jahr 1923 ist Giuseppe Scartezzini nach Wiesendangen gefahren, um sich den Ort anzusehen, für den sein 1918 verstorbener Freund Hans Bachmann ein Glasgemälde stiften wollte. Im gleichen Zeitraum kam von Seiten ehemaliger Schüler des hoch geschätzten verstorbenen Dorflehrers Heinrich Dürsteler der Wunsch auf, zu dessen Gedenken ein Kunstwerk zu stiften. Die beiden Anliegen wurden nun zu einem einzigen verknüpft und man bat Scartezzini, zwei Entwürfe auszuarbeiten, die vor den zuständigen Gemeindegremien Gefallen fanden. Von Anfang an skeptisch eingestellt war der Zürcher Kantonsbaumeister Dr. Hermann Fietz.
Scartezzini führte 1923–25 für zwei je in der Mitte geteilte Masswerkfenster Glasgemälde aus, mit den Themen 'Christi Geburt' und 'Christus am Ölberg' […].
[…] Wider seinen Willen war von Giuseppe Scartezzini bald mehr die Rede als ihm lieb war. Der Zürcher Kantonsbaumeister Hermann Fietz und ein Teil der Dorfbevölkerung wollten sich mit den neuen Glasgemälden in Wiesendangen nicht befreunden. Es kam zu einer Abstimmung, bei der eine Mehrheit der Wiesendanger die Entfernung der neuen Glasgemälde verlangte. Aus dem lokalen Kunststreit wurde eine überregionale, ja nationale Kontroverse, in die sich Werkbundkreite und die Stadtzürcher Kunstkritiker verteidigend einschalteten […]. [Die Scheiben] wurden bereits 1927 wieder ausgebaut. […] Vermutlich erwuchs der Widerstand letztlich nicht aus dem wenig stichhaltigen Einwand, in der Kirche sei es nun zu dünster. Ausschlaggebend dürften die befremdende moderne Bildsprache und die Abneigung gegen Veränderungen des Kirchenraums gewesen sein, die dem nüchternen zwinglianischen Danken nicht entsprachen. Anstoss hat die reformierte Dorfbevölkerung aber sicher auch am Faktum genommen, dass Giuseppe Scartezzini Katholik war.»
(Peter Killer, in: Fritz Billeter et al. 2005, S. 57–58)