dieser beitrag wurde verfasst in: deutsch (ger/deu/de)
künstler: Karl Moser
titel: Universität Zürich, Kollegiengebäude I und II
jahr: 1911, 1914–18, 1933
adresse: Rämistrasse 71, Zürich
+: Wettbewerbsbeiträge und Direktaufträge anlässlich der Erbauung der Kollegiengebäude 1914 sowie weitere Dekorationsaufträge in der Folge
Sowohl der Wettbewerb für die Ausstattung des Dozenten- und des Senatszimmers 1913 als auch die Direktvergaben des Baubüros respektive des Architekten Karl Mosers 1914 riefen einen Sturm der Empörung unter der Dozentenschaft und der Presse hervor. Viele der ausgeführten Bemalungen wurden um 1916 bereits wieder überstrichen, einige auch noch Jahrzehnte später. In der Kontroverse standen sich Architekten und Künstlern einerseits, Professoren und die weitere Öffentlichkeit anderseits gegenüber. Letztere kritisierten neben einer schlechten Malweise die inadäquaten oder geistlose Darstellungen. Karl Moser verteidigte die Ausdrucksweise der jungen Maler in einer Tagebuchnotiz:
«Kündig […] dass er […] […] er male Erlebnisse wie Die Bilder, die er im Vestibül male sei der Ausdruck des Kampfes und der Verwirrung in der er sich befunden habe und er sich entlastet. Es ist also ein Stück Menschenschicksal in diesen Bildern. Obwohl ich dieselben noch nicht als letzte Aeusserungen ansehe so nehme ich diese Malereien doch an. Christus Goethe, Böcklin Marrès sagten alle, wir müssen werden wie die Kinder. Nun. Die Künstler der Zürcher Gruppe streben nach diesem Ideal, nach dem reinen unverfälschten Ausdruck der Seele, und suchen sich so rein alls möglich zu erhalten Sie haben sich in dieser Beziehung als Charaktere bewiesen.
Die Sprache, deren sie sich bedienen ist infolge dessen eigenartig (und) oder originell. Sie muss auch eigenartig oder originell sein, weil das […] der […] Vorgänge sich nicht formen bedienen kann, mit denen niemals Seele ausgedrückt werden kann oder ausgedrückt worden ist. Sie müssen ihre Sprache dazu suchen, und wir müssen damit zufrieden und schliesslich froh sein sein, dass es Künstler gibt die diese Wege suchen.
Unsere Zeit hat sich daran gewöhnt Könner zu verlangen und Könner zu verehren, wobei unter Könner der Formensystematiker verstanden ist. Man ist von den Erfolgen der Photographie so ergriffen, dass man die photographische Gegenständlich auch vom Künstler verlangt und nicht etwa ein Wort seiner Seele einer Offenbarung seines Geistes.
Man verlangt Fingerfertigkeit aber nicht Geistestätigkeit.
Wie ein Kind erzogen wird! Es soll den Leib der Mutter als Gelehrter verlassen! Man raubt dem Kind die Kindheit so früh als möglich es wird so früh als möglich in den Bann der Nichtigkeit und Schweinereien der Grossen einbezogen. Es wird so früh als möglich in die […] und Verworrenheit unseres heutigen Lebens eingefuchst und in der Schule wenn es zu klein ist in die Streckmaschine eingespannt wenn es zu gross ist um einen Kopf gekürzt.
Eine solche Zeit hat wenig oder kein Verständnis für Natur aus der die Zürcher Künstlergruppe heraus schaffen. Aber wir sind ja stets in der Entwicklung begriffen und wir wollen uns die Mühe nicht verdriessen lassen […]» (Karl Moser, Tagebuch von 1914)
«Interessanterweise waren es beinahe ausschliesslich die Maler, die in der Professorenschaft und darüber hinaus in der Öffentlichkeit für Aufruhr sorgten, während die Bildhauer, obzwar auch sie nicht völlig ungeschoren davonkamen, unter der Deckung des vokstümlichen Respekts vor der 'tüchtigen Handwerksarbeit' vor Anrempelung verschont blieben.
[…] Trotz seinen anderslautenden Bekenntnissen als Kunst-Kurator und Förderer junger Kunst stellte sich der Architekt Moser mit seinem Bau als Traditionalist dar. Anders wäre es in Zürich ja gar nicht zu dem grossen Auftrag gekommen. Indem er nun aber die Malerei (im Gegensatz zur Architektur, und auch im Gegensatz zur Plastik) von ihrer traditionellen Verpflichtung auf idealisierende Schilderung mythologischer Inhalte oder historischer Begebenheiten entband – ja sogar von ihrer Verpflichtung auf das 'schöne Handwerk' – lief das Kunstkonzept der Universität mit aller Wucht den bildungsbürgerlichen Erwartungen einer Mehrheit von Professoren (und Studierender) ins Messer. […]
Dass im Zusammenhang mit Mosers kuratorialen Anstengungen gewisse Grenzen sichtbar wurden, die das authentische Gesamtkunstwerk vom beliebigen Kunst-Potpourri trennen, sollte im Rückblick nicht verschwiegen werden. […] Kurz- und mittelfristig blieb Mosers partizipationsromantische Parteinahme für die 'Avantgarde' weitgehend folgenlos. Die Mehrheit der von ihm 1914 in den Vordergrund gerückten 'wilden' Künstler verschrieb sich in der Zwischenkriegszeit einem eminent konsensfähigen 'Helvetischen Arkadien'. […]» (Stanislaus von Moos, in: Hildebrand, von Moos, Kunst-Bau-Zeit, Zürich 2014, S. 264–266)
«Die Durchführung eines Wettbewerbs für die Wanddekorationen im Dozenten- und im Senatszimmer der Universität Im Sommer 1913 mutet im Wissen darum [um die Direktvergabe des Aulawandbilds an Ferdinand Hodler] wie ein Ablenkungsmanöver an. Der Souverän und die Dozentenschaft sollten das Gefühl erhalten, bei der Ausgestaltung dieses wichtigen Bauwerks mitdiskutieren zu dürfen – dies, nachdem die meisten Aufträge für die Bauplastik vom Architekten und der Baukommission bereits direkt vergeben worden waren.» (Matthias Vogel, in: Hildebrand, von Moos, Kunst-Bau-Zeit, Zürich 2014, S. 278)
«An jener Dozentenversammlung versprach der Architekt hoch und teuer, dass er bei der Ausführung der prämierten Entwürfe auf die Geschmacksrichtung des Lehrkörpers Rücksicht nehmen wolle. Als er aber wieder Arbeiten zu vergeben hatte, stieg er auf der abschüssigen Bahn ein paar Schritte tiefer und holte sich dazu die Herren [Eugen] Meister, [Karl] Hügin und [Albert] Pfister. […] Bedeutende Künstler wie [Ernst] Würtenberger und [Eduard] Stiefel, die sich am Wettbewerb für das Senats- und Dozentenzimmer beteiligt und anerkannt gute, auch preisgekrönte Arbeiten geliefert hatten, die also zuerst in Betracht gezogen werden mussten, gingen leer aus.
Was ist nun zu tun? Die Aussicht, dass die schlimmsten Erzeugnisse dieser Kunst in absehbarer Zeit abgekratzt oder übertüncht werden müssen, ist nur ein gelinder Trost […]. Von den so schlecht behandelten Professoren ist keine weitere Aktion zu erwarten; von den Studenten, die den unfreiwilligen Humor der Bilder restlos geniessen, nur deren absichtliche Verunstaltung, die bereits da und dort eingesetzt hat. Unsere Künstler – so empört sie auch in ihrer Mehrheit über die Wirtschaft sind – werden sich auch zu keiner befreienden Handlung aufraffen; sie sind unter sich zu wenig einig. Bleibt also nur das Volk und seine Vertreter, die das Unheil zwar nicht mehr gut machen, aber dem öffentlichen Skandal doch ein Ziel setzen können. Wenn sich's unsere Kantonsräte zur Pflicht machen, sich die Malereien selbst anzusehen und in die Rechnungen darüber Einsicht zu nehmen, wird ein ganz energisches 'Bis hierher und nicht weiter' die Folge sein. In Zukunft müssen die Ausschreibungen von Kunstwerken auf breiterer Basis erfolgen. Die Preisgerichte müssen sorgfältig zusammengesetzt werden; sie dürfen keiner ausschliesslichen Parteirichtung überantwortet werden, wie im vorliegenden Falle, und das Laienelement muss reichlicher in ihnen vertreten sein als bisher. – In viel grösserem Grade als die Religion ist die Kunst Privatsache: es kann jeder nach seiner Fasson selig werden. Aber der Schmuck von öffentlichen Gebäuden soll dem Volke – und wo es sich um Schulen handelt, vor allem Lehrern und Schülern – Freude machen. […] Was das Volk bezahlt, will es auch geniessen. Es hat kein Verständnis für eine dekatente [sic], hysterische Kunst, mit der blasierte Feinschmecker ihre erschlafften Nerven kitzeln, sondern dürstet nach einer gesunden, grossen Kunst, die es über die geistige Öde und das materielle Elend des täglichen Lebens erhebt; nach einer Kunst, die eine Quelle der Freude, die Verkünderin und Trägerin der Schönheit ist.» (in: Volksrecht, 6.1.1915)