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[100 Jahre Vertrag von Versailles]

Die wehrhafte Schweiz und die Friedensinsel Schweiz. Zwei Monumente, zwei Konzepte

Alex Winiger

In der Schweiz existieren zwei monumentale Gemälde, die das Ereignis des Ersten Weltkriegs zum Gegenstand haben. Selbst in den damals kriegsführenden Ländern besteht die Mehrzahl der Gedenkstätten aus architektonischen oder skulpturalen Anlagen oder sogar nur aus Gedenktafeln. Erzählerische Darstellungen waren auch in diesen Ländern selten.[1]

Das Projekt einer Hall of Remembrance in England, die monumentale Darstellungen von 'Kriegserlebnissen aus erster Hand' enthalten sollte, wurde bereits 1919 aufgegeben. Die fertiggestellten Werke fielen dem Imperial War Museum zu.[2]

In Frankreich war die grösste Darstellung des Kriegs, das Diorama 'Panthéon de la Guerre' von Cartier-Belleuse und Gorguet, ein kommerzielles Projekt[3]. Ein zweites prominentes Gemälde, der 'Départ des poilus' des US-Amerikaners Albert Herter in der Gare de l'Est in Paris[4], zeigt nicht den Krieg selber, sondern den Abschied der mit der Eisenbahn einrückenden Soldaten 1914.

Eine ähnliche Abschiedsszene baute Curt Liebich 1923 in den Hintergrund seines Bronzereliefs in Gutach ein, mit dem wesentlichen Unterschied, dass der Tod zum Aufbruch trommelt, während die Bürger noch jubeln. Der Sensenmann findet sich in Deutschland noch in weiteren (kritischen) Darstellungen. Viel häufiger sind aber Darstellungen eines 'schönen sterbenden Helden' in klassischer Manier oder die soldatische Totenwache, die das NS-Regime später weiter monumentalisierte.[5]

Die Schweiz als nicht kriegführendes, moderat bedrohtes Land brachte zwei Monumente hervor, die eine von Beispielen in Frankreich, England oder Deutschland abweichende, aber auch untereinander sehr unterschiedliche Funktion erfüllten: das Votivbild in der Unteren Ranftkapelle in Flüeli-Ranft von Robert Durrer, Albert Hinter und Hans von Matt von 1920–21 sowie den Mobilmachungszyklus von Charles L'Eplattenier im Rittersaal des Schlosses Colombier von 1916–19. Beide wurden verschiedentlich beforscht.[6] Diese beiden Gemälde lassen erkennen, welch unterschiedliche Haltungen zum Krieg in der Schweiz existierten und welche öffentliche Funktion eine Erinnerungsstätte einnehmen konnte.

In den Besprechungen des Werks Charles L'Eplatteniers werden zwei Bezugspunkte aufgespannt: dessen starke formale Anlehnung an Ferdinand Hodler[7] und seine Verwurzelung im Symbolismus um 1900, die sich in seinen Aufenthalten in Budapest und Paris herausgebildet hatte[8]. Die gestalterischen Elemente der Repetition, der Flächigkeit und der reduzierten Farbigkeit zugunsten einer kräftigen dekorativen Wirkung lassen sich aus diesen Bezügen herleiten. Sie veranlagten L'Eplattenier zu einer monumentalen Schöpfung. Seine Lehre an der Ecole technique in La Chaux-de-Fonds brachte mit Jean-André Evard und Charles Humbert zwei weitere herausragende Schöpfer von monumentalen Bildwerken hervor.

Der dritte Bezugspunkt L'Eplatteniers war der Patriotismus. Sein 1935 bis 1946 in Colombier ausgeführter Zyklus über die Gründungslegenden der Schweiz legt offen, wie stark er sich in der Zwischenkriegszeit im Mainstream der helvetischen Geschichtsmythen bewegte und wie affirmativ er die geistige Landesverteidigung unterstützte. Das teilweise mittelalterliche Schloss Colombier war im 19. Jahrhundert zur Kaserne umfunktioniert worden. Die historischen Gebäudeteile wurden durch die Kommandantur und als Offiziersmesse genutzt, während für die Mannschaft (historisierend) neue Gebäude erstellt wurden. Als Trägerschaft und Finanzierungsquelle seines zweiten Werks im Rittersaal des Schlosses initiierte L'Eplattenier einen Verein, die 'Freunde von Schloss Colombier', dessen Zweck es war, die Realisierung des monumentalen Gemäldes vorzufinanzieren, kommerziell auszuwerten und L'Eplattenier zu entlöhnen. Das zweite Schwergewicht im Verein – neben L'Eplattenier selber – und später sein Widerpart, war der Kommandant der Kaserne, Oberst Edmond de Sunier. Der Gemäldezyklus bewegt sich, nach wie vor einer kräftigen hodlerschen Bildsprache verpflichtet, im absoluten ikonografischen und 'gebrauchsgeschichtlichen'[9] Konsens der Zeit. Eine dissidente Darstellung wäre in diesem Kontext nicht denkbar gewesen. Dass L'Eplattenier einem (historisch) konservativen Gedankengut verpflichtet war, zeigt sein Engagement für ein Mosaik zu Ehren der königlichen Schweizergarde in Paris 1792, das er kurz vor seinem Tod 1946 zu realisieren versuchte.

Darstellungen der Schweizer Geschichtsmythen von Rütli bis Murten sind nicht selten. Demgegenüber lässt das Vorgängerwerk, die 'Installation défensive' von 1916 bis 1919 eine Ahnung des realen Geschehens während des Ersten Weltkriegs aufscheinen, die meines Wissens in der Schweiz sonst nirgendwo ins Bild gefasst wurde. Sie ist ein Stück weit vergleichbar mit den 'Kriegserlebnissen aus erster Hand', die das 'British War Memorials Committee' für die 'Hall of Remembrance' bestellte.

L'Eplatteniers Werk repräsentiert das weltlich-patriotische Konzept, das 'Machbare': die wehrhaften Schweizer Männer schliessen die Schultern und wappnen sich unter Anspannung aller Kräfte gegen die drohende Gefahr. Die Gefahr ist nicht ausgestanden, die Menschen müssen sie allein abwehren. Voraussetzung sind die straffe, militärische Ordnung und der Fahneneid. Die Kriegshandlungen jenseits der Grenze bleiben ausgeblendet. Dem steht die Darstellung der realen Anstrengung gegenüber, die die Verteidigung des Landes bedeutet: Männer heben Gräben aus.

Die 'Installation défensive' hebt sich in ihrem Realismus und der räumlichen Anordnung von den übrigen Gemälden im Raum ab. Die räumlichen Gegebenheiten des Rittersaals werden in den dynamischen Bildabschnitt integriert: Soldaten übersteigen mit Leitern Türrahmen oder halten Wache von der Höhe des Treppenabsatzes. Dier Darstellung der Soldaten 'in Aktion' erinnert an Edouard Castres Bourbaki-Panorama, insbesondere an Vorarbeiten, die den Marsch von Soldaten durch den Schnee schildert. Die weiteren Gemälde des Mobilisierungszyklus tragen klar den Stempel des Vorbilds Ferdinand Hodler[10].

Dem setzen Durrer und Hinter 1920–21 ein religiös-fatalistisches Konzept entgegen: Gott hält dank der Fürbitte des Seligen Niklaus von Flüe seine Hand über die Schweiz. Der Krieg ist ein absurder Strudel, nur bedingt durch menschliches Handeln beinflussbar und ohne erkennbare Ideale oder Interessenlagen: bald versinken die Symbole der beteiligten Mächte im Meer der Toten. Hinweise auf den modernen Gas- und Maschinenkrieg sind sehr zurückhaltend eingesetzt. Erkennbar ist die Gasmaske, ein sinkendes Passagierschiff, und ein apokalyptischer Reiter hat die Pose eines Fliegers eingenommen.[11] Die Darstellung hat in ihrer Totentanzallüre etwas ahistorisches respektive verallgemeinerndes: «so ist der Krieg zu allen Zeiten».

Durrer skizzierte 1920 die Grundidee: Aus dem Gemenge der Toten schwingen sich einer Woge gleich die apokalyptischen Reiter (mit Tod und Revolution im Gefolge) in Richtung des Felsens, der die Schweiz darstellt. Niklaus von Flüe hält der Bedrohung seine Bittgeste entgegen. Das Gemenge erinnert dabei etwas an Albrecht Altdorfers 'Alexanderschlacht' von 1529, der Totentanz und die apokalyptischen Reiter an Dürers 'Apokalypse' von 1498, der sich spiralig auftürmende Heimatfelsen mit dem obskuren Tun seiner Bewohner an Pieter Bruegels d.Ä. oder Abel Grimmers 'Turmbau zu Babel'-Darstellungen. Für den Engelberger Kirchenmaler Albert Hinter dürfte die Umsetzung eines Totentanzes eine Routine gewesen sein: einen solchen setzte er 1911 bereits an einem Beinhaus in Kerns um.

Die Symbolfigur des 'Bruder Klaus' kommt auch im Repertoire von Charles L'Eplattenier (und fast aller Darstellungen der Schweizer Geschichtsmythen in den 1930er-Jahren) vor: als Mahner zur Disziplin und Einigkeit. Auch Niklaus von Flüe war Soldat. In der Darstellung Durrers steht der demütige Bittsteller im Vordergrund. Doch auch für Durrer ist die Disziplin die Grundlage des Friedens und Gedeihens: in seinen 'Kriegsbetrachtungen' von 1915 mahnt er die Miteidgenossen zu Zurückhaltung bei der Parteinahme und zur kühlen Inanbetrachtnahme ihrer Interessen.[12] In seiner Darstellung findet sich darüber hinaus ein antirevolutionäres Element: Die 'Roten' versuchen sich am Schweif des kriegstreibenden Reiters mit dem Wilhelm-Schnurrbart aus dem Gemetzel emporzuziehen. Demgegenüber ist im Durrer-Gemälde das Schweizer Militär eine quantité négligeable. Die Schweiz bleibt verschont dank ihrer guten Dienste ('Kellner'), der Geographie (Berg) und dank Gottes Hand. Diese Darstellungsweise wirkt in Relation von Landi-Werken wie Fred Stauffers '1792 – 1914' geradezu frivol.

Bruder Klaus wird als Leitfigur des Schweizer Patriotismus neu aufgebaut. Gleichzeitig erlaubt Durrer sich einige Kritik am Volk und seinen militärischen Bemühungen: die Schweizer können Gott danken, dass sie verschont blieben.[13]

Der laizistische Konservative L‘Eplattenier schafft einen virilen Appell für die Besatzung der ‚Garnison‘ Colombier. Er glaubt an die Rettung der Schweiz durch Einheit und Disziplin. Demgegenüber erkennt der liberale Katholik Durrer die Schwächen seiner Zeitgenossen. Sein Glaube an deren Gemeinschaftswillen hält sich in Grenzen. Er sagt mit seinem Bild: seid demütig angesichts dessen, dass ihr so unverdient verschont geblieben seid. Während L'Eplattenier den martialisch-aufrüttelnden Charakter mit seiner (damals) modernen Malweise, durch Reduktion und Parallelismen, erzeugt, schafft Durrer Abstand und Ironie durch die Verwendung historisierender Bildmittel und seine entrückende Pastellfarbigkeit: als sei dies ein Wahnsinn aus einer anderen, vergangenen Zeit.

Patriotische Wandmalerei in der Schweiz wird zumeist im Kontext der 'Geistigen Landesverteidigung' der 1930er-Jahre und deren konservativen Ästhetik gesehen.[14] Weder L'Eplattenier noch Durrer gehörten jedoch je zu den 'Offziellen', also denjenigen Künstlern, die im Mainstream jener Zeit öffentliche Aufträge ausführten. Durrer war in einem hohen Mass unabhängig[15] und zudem nicht in erster Linie Künstler, sondern Kunsthistoriker. L'Eplattenier arbeitete (ausser als Professor der Ecole technique von La Chaux-de-Fonds, bis 1912) ausschliesslich für private Auftraggeber und beschaffte schliesslich gerade für sein patriotischstes Werk, die 'Fondation de la Suisse', die Mittel selber. Beide genossen hinsichtlich der Gestaltung der hier besprochenen Werke seitens ihrer Auftraggeber freie Hand.[16] L'Eplattenier bewegte sich 1916 mit seinem 'Hodlerismus' klar im modernen (wenn auch nicht avantgardistischen) Spektrum der Künstlerschaft, die kurz vor und während des Kriegs bereits stark im öffentlichen Gegenwind stand.[17] Durrer und Hinter arbeiteten unter der Camouflage der historistischen Angleichung ihres Gemäldes an den historischen Bestand der Kapelle. Es blieb jedoch zeitgenössischen Kritikern nicht verborgen, dass sie mit der karikierenden Darstellung des weltlichen Geschehens den Charakter eines Votivbildes auf's Äusserste dehnten. Der Patriotismus entspringt hier, wie bereits erwähnt, keinem (militärischen) Verdienst, sondern dem Eindruck, dass der liebe Gott selbst seine Hand über das Land hielt.[18]

Ein drittes, alternatives Konzept findet in der Schweiz keine monumentale Darstellung: der Krieg ist Ergebnis der zerfallenden alten Ordnung und wird überwunden durch eine neue Ordnung. Im mexikanischen Muralismus war die Idee, den (Bürger-)Krieg mit Revolution und Überwindung des Alten zu verknüpfen, stark verankert. Ein frühes Beispiel ist Diego Riveras Zyklus in der Chapingo-Kapelle.[19] Eine weniger optimistische Variante gelangt in José Clemente Orozcos Werk zur Darstellung: Krieg und Chaos generieren neues Chaos.[20] Er befindet sich damit der Durrerschen Auffassung viel näher. Jedoch fehlt dem Kriegsveteranen Orozco der Glaube an das Heil.

Epilog

Claude Monets Seerosenbilder-Installation in der alten Orangerie des Louvre werden nicht primär als War Memorial wahrgenommen, obwohl es für diese Deutung einige Anhaltspunkte gäbe, wie Romy Golan ausführlich darlegt.[21] Dies beginnt damit, dass der französische Kriegspremier Georges Clemenceau ab 1914 eine Schenkung dieser Gemälde an das französische Volk ins Auge fasst. Monet dürfte in Giverny praktisch in Hördistanz des Kanonendonners daran gearbeitet haben. Nach 1918 wurde die Bildserie quasi zu einer Siegesprämie und zugleich zu einem ’Souvenir‘ des untergegangen Belle-Epoque.

Ähnlich wie in zeitgenössischen Kriegspanoramen verliert das Detail angesichts des gewaltigen Ganzen an Bedeutung. Die «Nymphéas» sind das idyllische Gegenstück zu den graubraunen Schlachtdioramen.[22] Im Bild, wie an den Kriegsschauplätzen nach dem Ende der Schlacht, breitet sich Stille aus. Die Wunden in der Landschaft und der Erinnerung werden geschlossen, das (menschliche) Leben bleibt jedoch aus.

Anmerkungen

  1. Eine Übersicht bietet der sehr umfangreiche Wikipediaeintrag 'World War I memorials', der eine umfassende Bibliografie enthält.[↑]
  2. Die britischen Kriegsgemälde verzichten auf einen vordergründigen Heroismus. Die Künstler beschränkten sich oftmals auf die Schilderung des Desasters (wie C.R.W. Nevinson in 'The Harvest of Battle'). Die Anstrengungen und Opfer der Soldaten werden zum Massstab des Patriotismus. Vgl. Claire A.P. Willsdon, Mural Painting in Britain 1840–1940. Image and Meaning, S. 121–130.[↑]
  3. Das 'Panthéon de la Guerre' von Pierre Carrier Belleuse (1851–1933) und Auguste François-Marie Gorguet (1862–1927) bestand 1918 bis 1959 und wurde zunächst, bis 1927, in Paris gezeigt, dann in die USA verkauft und dort im Rahmen verschiedener Ausstellungen präsentiert, so der 'Century of Progress'-Ausstellung in Chicago 1933 bis 1934. 1940 eingelagert, wurde es sodann von einem privaten Unternehmer erworben, 1959 in einzelne Teile zerlegt und zu einem kleineren Teil, mit Abänderungen, in Kansas City neu aufgebaut, wo es noch heute zu sehen ist. [↑]
  4. Albert Herter (1871–1950) verlor 1918 einen Sohn an der Westfront und schenkte zum Gedenken dem französischen Staat dieses Gemälde. [↑]
  5. Zu Kriegsdenkmälern in Deutschland generell vgl. Vova Pomortzeff, The Woe of the Vanquished. Während des NS-Regimes entstanden auch umfangreichere Bildzyklen: Franz Eichhorsts Ausmalung im Rathaus Schöneberg (1938 ausgeführt, 1945 überstrichen), das den Grabenkampf als Hintergrund der 'Nationalen Erhebung' (Errichtung der NS-Herrschaft) verwendet, sowie Werner Peiners Gobelinentwurf 'Weltkrieg / Die Tankschlacht von Cambrai' (1939–40, im Rahmen des Zyklus 'Marksteine deutscher Geschichte' für die Marmorhalle der Neuen Reichskanzlei in Berlin), das den Kampf der deutschen Soldaten gegen die technisch übermächtigen britischen Panzereinheiten heroisiert. Zu Peiners Werk vgl. Anja Hesse, Malerei des Nationalsozialismus: Der Maler Werner Peiner (1897–1984), Hildesheim, Zürich, New York 1995, S. 248–255. [↑]
  6. Zu L'Eplatteniers Werken in Schloss Colombier existieren eine Lizentiatsarbeit von Sylvie Pipoz-Perroset von 2002, dem Beitrag der selben Autorin im K+A-Heft 'Patriotische Wandmalerei in der Schweiz' von 2004, und der Besprechung der Werke im Gesamtkontext des Schaffens L'Eplatteniers in der Publikation Anouk Hellmanns von 2011. Zu Durrers Restaurierung und Rekonstruktion des Ranft-Komplexes liegt zuallererst dessen eigene Beschreibung in den 'Kunstdenkmälern von Unterwalden' (1899–1928) vor, die auf den Bestand und dessen Instandsetzung akribisch eingeht. Durrers Biograf Jakob Wyrsch veröffentlichte 1944 eine anekdotische Beschreibung der Umstände der Entstehung des Votivbildes. In jüngerer Zeit waren es Philipp Sarasin (1995), Christoph Mörgeli (2006), Guy P. Marchal (2007) und Regula Odermatt-Bürgi (2018), die auf das Werk eingingen. Sarasin und Marchal sehen es vorallem im Zusammenhang mit der Ausbildung eines konservativen schweizerischen Geschichtsmythos. Mörgeli stellt die Verbindung zu weiteren Totentanzdarstellungen her, während Odermatt-Bürgi das dissidente Potential Durrers Darstellung weiter auslotet. [↑]
  7. U.a. in Pipoz-Perroset, Les décorations de Charles L'Eplattenier au Château de Colombier, in: Kunst + Architektur 2004.1, «Patriotische Wandmalerei im 20. Jahrhundert», S. 14–21. [↑]
  8. Anouk Hellmann, Charles L'Eplattenier 1874—1946, Hauterive, 2011. [↑]
  9. Gemäss dem Leitbegriff Guy P. Marchals Publikation Schweizer Gebrauchsgeschichte. Geschichtsbilder, Mythenbildung und nationale Identität, Basel, 2007. [↑]
  10. Pipoz-Perroset sieht auch in der 'Installation défensive' Anleihen von Hodler, namentlich in den Körperhaltungen der Männer. Die Gemälde 'Le serment' und die 'Montée à la frontière' sind jedoch bedeutend stilisierter und verwenden den hodlerschen Parallelismus ausgiebigst. [↑]
  11. Der Geraer Erich Drechsler (1903–1979) stellte den Maschinenkrieg in seinen Totentanzdarstellungen ab 1919, die ansonsten einige Ähnlichkeit mit demjenigen im Ranft zeigen, viel stärker in den Vordergrund: Skelette werden von Tanks überrollt, Granatenexplosionen zerreissen sie in Stücke. Vgl. Kirsten Fitzke, «Hier ist der Tod der Würger». Die Arbeiten Erich Drechslers zum Ersten Weltkrieg, Marburg, 2011. [↑]
  12. Robert Durrer, Kriegs-Betrachtungen, in: Schriften für Schweizer Art und Kunst; 24/25, 1915 [↑]
  13. Robert Durrer konnte für sich den Erfolg verbuchen, mit taktischem Geschick und tragfähigen freundschaftlichen Beziehungen beispielsweise zum Volksverein-Vertreter Hans von Matt etwas für 'seinen' Ranft zu tun, den er in den 'Kulturdenkmälern' und den 'Quellen' (zu Niklaus von Flüe) so aufwändig beforscht hatte. Zugleich drückte er seinem Werk seinen ganz persönlichen Stempel auf. Dennoch spielte er damit auch dem ihm nicht geneigten Klerus und den Konservativen in die Hände, die die Heiligsprechung Niklaus von Flües und die religiöse, politische und wohl auch kommerzielle Aufwertung des Ranft im Fokus hatten. [↑]
  14. Siehe beispielsweise Matthias Vogel, 'Im Korsett inhaltlicher und formaler Tabus. Gedanken zur patriotischen Wandmalerei im 20. Jahrhundert' in Kunst + Architektur 2004.1, S. 6–13. [↑]
  15. Jakob Wyrsch schreibt, Durrer habe zwar kaum Geld besessen, sei als Abkömmling einer alten Stanser Familie aber 'begütert' gewesen, das heisst, er besass ein Haus und litt keine Not. Für all seine Arbeit, die er zeitlebens (u.a. als Staatsarchivar, als Richter, als Altertumsforscher etc.) geleistet habe, hätte er jährlich wohl nicht mehr als 1000 Franken verdient. Vgl. Jakob Wyrsch, Robert Durrer, Stans, 1944. [↑]
  16. L'Eplattenier arbeitete im Auftrag und finanziert durch Divisionär Robert-Ferdinand-Treytorrens de Loys (1857–1917), der während des Kriegs in Delémont die zweite Division der Schweizer Armee kommandierte. Robert Durrer erhielt seinen Auftrag dank der Vermittlung und Hilfe seines Freundes Hans von Matt (1869–1932), Verleger und Nationalrat, der ihm seine Kritiker auch später vom Leib hielt. [↑]
  17. Nachdem Ferdinand Hodlers Marignano-Gemälde im Waffensaal des Schweizerischen Landesmuseums 1900 nach vielem Hin und Her schliesslich realisiert werden konnte, etablierte sich dessen antirealistischer Ansatz zunächst in der eidgenössischen Kunstlandschaft. Bereits in den 1900er-Jahren erwuchs dieser 'Moderne' allerdings bereits Widerstand in Form einer sogenannten 'Sezession' mit konservativer Stossrichtung, der sich unter anderem im Streit um Emil Cardinaux Plakat zur Schweizerischen Landesausstellung 1914 äusserte, das sich nicht zuletzt stark an Peter Behrens' Plakat zur Werkbundausstellung in Köln 1913 anlehnte und, ähnlich wie Hodlers Bildsprache, emblematisch funktionierte. Es gelang den konservativen Künstlern tatsächlich, einen Bundesbeschluss zu einer (kurzzeitigen) Neuausrichtung der eidgenössischen Kunstförderung zuungunsten der 'Hodlerclique' zu erwirken, zu der L'Eplattenier, wenigstens bilderisch, zweifellos gehört hätte. [↑]
  18. Zur Idee der 'auserwählten' Schweiz vgl. Philipp Sarasin, Robert Durrer (Stans 1867 – 1934 Stans). Niklaus von Flüe rettet die Schweiz vor dem Ersten Weltkrieg. Votivbild-Entwurf von 1920 für das in dieser Weise ausgeführte Fresko in der unteren Ranftkapelle, Kt. Nidwalden. 1921. [↑]
  19. Der mexikanische Bürgerkrieg dauerte von 1910, dem Jahr des Sturzes des jahrzehntelangen Diktators Porfirio Díaz (1830–1915) bis 1920, demjenigen der Wahl Alvaro Obregons (1880–1928). Die lange Kriegsdauer und ein Tribut von bis zu 2 Millionen Toten und bis zu 700'000 Flüchtlingen lässt den Vergleich mit dem gleichzeitigen Ersten Weltkrieg zu. Eine länger andauernde Intervention der USA wurde wohl durch deren Eintritt in das europäische Kriegsgeschehen 1917 verhindert. Die bekanntesten Protagonisten der 1921 initiierten mexikanischen Muralistenbewegung, Diego Rivera (1886–1957), José Clemente Orozco (1883–1949) und David Alfaro Siqueiros (1896–1974) verbrachten diese Zeit entweder in Europa (Rivera 1907–21, Siqueiros ab 1918) oder nahmen als Soldaten am Bürgerkrieg teil (Orozco, Siqueiros 1914–18). Rivera, der den Ersten Weltkrieg in Paris sehr viel stärker unmittelbar erlebt hatte als den mexikanischen Bürgerkrieg (sein und Angelina Beloffs 1916 geborener Sohn verstarb 1917 in Paris an Mangelernährung und der Grippe), sah in der 'Revolution' vorerst in erster Linie den Fortschritt. Eine Darstellung in der Chapingo-Kapelle (ausgeführt zwischen 1923 und 1927) zeigt zwei begrabene Revolutionäre, über denen der Mais wächst. Noch expliziter ist der Determinismus seines Zyklus im mexikanischen Nationalpalast (ab 1929), wo nach den gewalttätigen und kriegerischen Wirren der mexikanischen Geschichte Karl Marx den Weg in die lautere Zukunft weist. Vgl. Diana Briuolo Destéfano, Diego Rivera. Capilla de Chapingo, in: Ida Rodríguez Prampolini (Hg.), Muralismo mexicano 1920–1940, catálogo razonado I, México D.F., S. 83–91, und: Itzel Rodríguez Mortellaro, Diego Rivera. Epopeya del pueblo mexicano, in: ebenda, S. 261–277 [↑]
  20. In Orozcos Gemäldezyklus des Antiguo Colegio de San Ildefonso von 1923–27 floss die Kriegserfahrung verschiedentlich ein. 'La trinchera' (Schützengraben) von 1923 zeigt eine desperate Kampfszene, 'Muladar de simbolos' (1924–27) einen Haufen von Emblemen des Todes und Verderbens, darunter Krähen, einem Pferdeschädel und eine Swastika. Vgl. Renato González Mello, José Clemente Orozco. Frescos en el Antiguo Colegio de San Ildefonso, in: Ida Rodríguez Prampolini (Hg.), Muralismo mexicano 1920–1940, catalogo razonado I, México D.F. 2012, S. 76–81. [↑]
  21. Romy Golan, Muralnomad. The paradox of wall painting, Europe 1927-1957, New Haven, 2009, S. 7–35.
  22. Golan führt als Vergleichsbeispiel Franz Roubauds Borodino-Diorama von 1910–12 an. In Belgien existieren zwei Panoramen aus der Zeit, Albert Bastiens 'La bataille de l'Yser' von 1921 und 'La bataille de la Meuse' von 1937. All diese Gemälde enthalten noch eine einigermassen starke Bilddramatik, die für den Vergleich mit Monets 'Nymphéas' nur bedingt taugt. Näher kommen dieser Idee ein erst 1980–82 entstandenes Werk, das 120m-Stalingradpanorama in Volgograd und das wenig später von einem nordkoreanischen Team geschaffene Yom-Kippur-Panorama in Kairo.