dieser beitrag wurde verfasst in: deutsch (ger/deu/de)
verfasserin/verfasser: Olaf Gisbertz
titel: Bruno Taut und Johannes Göderitz in Magdeburg. Architektur und Städtebau in der Weimarer Republik
isbn: 3-7861-2318-7
+: Berlin : Gebr. Mann, 2000
«'[…] entstand in der Neuzeit als grimmigster Feind die moderne Kohlenfeuerung; die von ihr entwickelte schweflige Säure verwandelt den kohlensauren Kalk des Mörtels in schwefelsauren (Gips), der die Farben nicht mehr bindet, in kurzer Zeit wurden sie abgewaschen.'
Erst mit den 1878 von Adolf Keim patentierten Mineralfarben verbesserten sich die maltechnischen Voraussetzungen zur Einführung haltbarer Fassadenmalereien. […] Um 1900 mehrten sich schliesslich jene Stimmen, die Fassadenbemalungen und farbige Baumaterialien auch für die zeitgenössische Baukunst einforderten. Besonders die vom Dürerbund unterstützte Zeitschrift 'Der Kunstwart' war das Sprachrohr dieser Bewegung. Ihr Herausgeber, Ferdinand Avenarius, verlangte nicht nur farbige Wanddekorationen, sondern sogar Bauwerke mit farbigen Putzflächen. Auch Fritz Schumacher strebte danach, die 'ganze ästhetische Ökonomie eines Gebäudes […] von vornherein auf Farbe' hin anzulegen. Er sprach sich deshalb für eine 'farbige Archiektur' mit vielfältigen Schatten und Tönungseffekten aus, entsprechend der Form und Musterung verschiedenfarbiger Ziegel oder Baukeramiken.
Diese von Architekten, Kunsthistorikern, den Malerinnungen und auch der Farbenindustrie getragene Aufbruchstimmung zu einer neuen farbigen Architekturgestaltung zog auch den jungen Bruno Taut in ihren Bann. Wie viele Architekten seiner Generation hatte er zunächst sein künstlerisches Talent in der Malerei entdeckt. […] Im Alter von 25 Jahren äusserte Bruno Taut in seinem Tagebuch den Wunsch, seine malerischen Fähigkeiten mit seinem architektonischen Können zu vereinen und sich künftig mit dem Problem 'Farbige Raumkompositionen, farbige Architektur' befassen zu wollen. Bei Theodor Fischer in München konnte Bruno Taut seine Ambitionen auf diesem Gebiet in die Praxis umsetzen. […]
Die Farbe behielt für Bruno Taut auch als Architekt der Deutschen Gartenstadt-Gesellschaft (DGG) grosse Priorität. Für die Bauten der Gartenstadt Falkenberg [bei Berlin] entwickelte er z.B. ein umfassendes Farbkonzept und stiess hiermit bei Anwohnern und Besuchern der Siedlung zunächst auf Unverständnis […]. Wie sehr Bruno Taut in der 'Siedlung Tuschkasten' mit der farbigen Gestaltung der Hauseinheiten in den Farben Gelb, Blau und Rotbraun die üblichen Sehgewohnheiten seiner Zeitgenossen beanspruchte, zeigen die inzwischen aufgedeckten Dekorationen. Geometrische Raster, vertikal oder horizontal geführte Putzstreiben und Rauten in grellen Farben prangen an den Aussenseiten der Bauten. Schon am Alten Hof zu München (14. Jh.) oder am Rathaus von Celle (um 1610) gehörten solche Motive zum gängigen Repertoire gemalter Steinimitationen des 14. bis 18. Jahrhunderts. Doch bei allem Respekt vor der historischen Fassadenmalerei, setzte sich Bruno Taut mit 'wilden' Farbeffekten souverän über frühere Traditionen hinweg.»
«Die ersten kühnen Anregungen zur farbigen Architekturgestaltung konkretisierten sich im [Berliner] Arbeitsrat für Kunst mit einer speziellen Umfrage im Frühjahr 1919. Neben den Vorschlägen von Georg Tappert zur Beseitigung des gründerzeitlichen Fassadenornaments zugunsten farbiger Anstriche, legten Karl Schmidt-Rotluff und César Klein mit ihren in leuchtenden Farben aufglühenden Idealstadtprojekten für Bruno Taut das Fundament zu einer ganzheitlichen Stadtgestaltung.»
«Im Gegensatz zu den Architekturutopien im Arbeitsrat für Kunst ging Bruno Taut die farbige Stadtgestaltung in Magdeburg pragmatisch an. […] Die gesamte Farbkampagne initiierte er gemeinsam mit seinem langjährigen Weggefährten Carl Krayl aus dem Berliner Arbeitsrat. Ihre fachkundige Anleitung und Beratung animierte zahlreiche Künstler und Hausbesitzer zur Mitarbeit an der farbigen Umgestaltung der Stadt zu einem öffentlichen Gesamtkunstwerk, das in zeitgenössischen Berichten als 'das bunte Magdeburg' bezeichnet wurde.»