dieser beitrag wurde verfasst in: deutsch (ger/deu/de)
künstler: Robert Durrer, Albert Hinter, Hans von Matt
titel: Untere Ranftkapelle
jahr: 1503 erbaut, stark verändert im 17. und 19. Jahrhundert, restauriert und renoviert 1920–21 und 1985–86
adresse: Flüeli-Ranft, Sachseln OW, Schweiz
+: «Die Kapelle war […] 1920/21 einer fachmännischen Restaurierung unterzogen worden. Der Schweizerische Katholische Volksverein hatte sich durch ein Gelübde zu diesem Werk verpflichtet, falls die Schweiz vom Weltkrieg verschont bliebe. Die Erneuerung leitete der Kunsthistoriker und Bruder-Klausen-Forscher Dr. Robert Durrer (1867–1934) von Stans.» (aus: Kaiser, 2007, S. 47)
«Dieses so arg verunstaltete und vernachlässigte Gotteshaus ist nun in den Jahren 1920 und 1921, in Erfüllung eines zu Anfang des Weltkrieges dem Friedensstifter Bruder Klaus getanen Gelübdes, durch den Schweizerischen Katholischen Volksverein unter meiner Leitung restauriert worden. Die Hauptaufgabe dieser Wiederherstellung bestand in der Blosslegung und Konservierung der alten Wandmalereien, die Albert Hinter in Engelberg gewissenhaft ausführte.» (aus: Durrer, 1928, S. 1139)
«Im August 1914, kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, versprach der Schweizerische Katholische Volksverein, eine Weihegabe zu stiften, falls die Schweiz durch die Fürbitte von Bruder Klaus vom Krieg verschont bleibe. Damit verbunden war das bestreben, die Heiligsprechung des Seligen voranzutreiben. 1919 drängten massgebende Persönlichkeiten auf die Einhaltung des Gelübdes. Verschiedene Vorschläge lagen vor. Schliesslich einigte man sich 1920 auf die Restaurierung des Bruder-Klaus-Heiligtümer, also Geburts- und Wohnhaus, obere und untere Ranftkapelle. Die Baukommission bestand aus Nationalrat Hans von Matt, Staatsarchivar Robert Durrer, beide aus Nidwalden, dem Sachsler Gemeindeschreiber Josef von Flüe und Pater Emmanuel Scherer, Lehrer am Kollegium Sarnen. Trotz Widerstand aus klerikalen Kreisen wurde die Leitung Robert Durrer übertragen; dieser hatte sich nie gescheut, seine eigenständigen Ansichten auch gegenüber kirchlichen Autoritäten scharfzüngig zu vertreten. Erste Sondierungen in der unteren Ranftkapelle liessen Fragmente spätmittelalterlicher Wandmalereien erkennen. Im Juli 1920 beauftragte der Sachsler Einwohnerrat – möglicherweise auf Druck der Obwaldner Geistlichkeit, die den Einfluss Durrers einschränken wollte – den Engelberger Maler Albert Hinter, die Fresken freizulegen und zu restaurieren. Die Baukommission sprach sich jedoch diplomatisch, aber bestimmt für die Mitarbeit Durrers und des Kunststudenten und Nationalratssohn Hans von Matt aus. Protokolle belegen, dass die beiden vor allem für die Umrisse und die Ergänzungen zuständig waren, Albert Hinter eher für die übrigen Arbeiten. Diese Arbeitsteilung bezieht sich auf die Renovation der wiederentdeckten Fresken und nicht […] auf die Ausführung des Votivbilds.» (Odermatt-Bürgi, 2018, S. 157–158)
«Aber einen Steinwurf weit entfernt, erwartete die untere Kapelle […] sie [Durrer, Hinter, von Matt] zur täglichen Arbeit. Die gotisch-einfache Holzdecke war wieder herzustellen, und dafür brauchten die Zimmerleute ihre Weisungen. Die Bilderfolgen aber im Chor und an den Seitenwänden des Schiffs, die Passionsgeschichte und ein Bruderklausenleben, den frommen Pilgern des 16. Jahrhunderts, die nicht lasen, sondern umso genauer schauten, in knappen Szenen vorerzählt, überliessen sie keinem andern, sondern sie legten selber bloss und malten, was verblichen war, in zarten Farben neu. Da stiegen sie also mit Pinsel und Spachtel in weissen Kitteln auf Leitern und Gerüsten herum, wobei die Gestellen immer darauf achteten, dass ihr Meister Robert keine Farben, die sich nicht vertrugen, zu gleicher Zeit auf der Palette hatte. Und Zug um Zug begannen die Fresken an den Wänden wiederum aufzuleuchten und zu sprechen.
Aber die Bilder waren es nicht allein. Auch die drei Altäre mussten gereinigt und neu gefasst werden. Oder sollte man es bleiben lassen? Denn sie waren alle aus viel späterer Zeit und also keineswegs dem Stil der Kapelle gemäss. Eine Zeitlang hatte es tatsächlich den Anschein, dass der berühmte gotische Schnitzaltar von Churwalden sich für den Ranft retten lasse, und dann wäre die Entscheidung leicht gewesen. Aber die Verhandlungen zerschlugen sich oder es gab sonst Hindernisse […]. Da entschloss sich Rober Durrer kurzerhand den barocken zierlich-eleganten Hochaltar von 1741 mit den sechs gewundenen Säulen und dem Baldachin in seiner Gold- und Lapislazuli-Pracht wieder herzustellen und stehen zu lassen. Die beiden unbedeutenden Seitenaltäre aber liess er fortschaffen und ersetzte sie durch niedrige steinerne Retablen. Und er war kühn, wie noch nie: er suchte nicht spätgotische Heilige aufzutreiben, sondern er liess durch Hans von Matt zwei bemalte und vergoldete Holzbüsten schnitzen, eine Hl. Magdalena und einen hl. Beat, die, wie es damals nicht anders sein konnte, im Stile jener Nachkriegsjahre waren und erkennen liessen, dass der Künstler nicht nur die gotischen Meister, sondern auch Lehmbruck und die Bildhauerei der Zeit aufmerksam, aber ohne nachzuahmen, studiert hatte.
Aber ein Wunder: es entstand aus gotischem Gemäuer, gotischer Decke und Bilderbogen, aus Masswerkfenstern mit den Kabinettscheiben Hinters, aus barockem Altar, aus expressionistischen Figuren und Kerzenstöcken nicht etwa ein Bazar und Brockenhaus, wie es jeder Eiferer für Stileinheit höhnend vorausgesagt, sondern ein Kunstwerk, wohl abgewogen, im Gleichgewicht, als wäre es von einem einzigen Künstler in völliger Freiheit so geplant worden.
Sogar was noch dazu kam, fällt nicht aus dem Rahmen, trotzdem es etwas Anstoss erregt hat, nicht so sehr aus künstlerischen, viel mehr noch aus menschlich-allzumenschlichen Gründen. Wendet sich der andächtige Pilger oder neugierige Besucher der Türe zu, erblickt er darüber an der Rückwand das Fresko von Robert. Es lagt ihm sehr am Herzen, aus mancherlei Gründen. In den nebligen Wintertagen 1920/21 konnte man ihn in der Breiten treffen, wie er unermüdlich an den Entwürfen arbeitete, deren letzter und endgültiger heute noch dort im Treppenhaus hängt. Als richtiges Votivbild wollte er es aufgefasst wissen, und darum erlaubte er sich, aller reinen Malerei zum Trotz, die gerade damals einzig galt, zu erzählen und immer wieder zu erzählen. Bruder Klaus kniet also auf der Höhe eines abgestuften, felsigen Bergstockes, die Hände flehend zum Himmel erhoben. Ein kleines, rundes Fenster in der Wand kam ganz zu pass, und es wurde deshalb nicht vermauert, liess sich doch in farbigen Gläsern das Visionsbild dort einsetzen. So ist das Heiligste unirdisch, wie es dem Wesen der Glasmalerei eigen ist, zugegen, ohne dass es vermessen in das Getümmel handfester, harter Farben und Formen herabgezogen werden muss. Um den Friedensberg schwebt ein Engelreigen, blau- und weiss- und rotgewandet, und der schmunzelnde Maler brauchte nicht zu erklären, was dies bedeutete. Dass diese Engel die Schritte der damaligen Modetänze vorführen würden, darauf musste er aber schon aufmerksam machen, denn deutlich konnte er dies nicht darstellen. Rings um den Friedensberg jedoch tobt ein Totentanz von Schädeln, Gerippen und zerrissenen Fahnen mit einer wilden Unerbittlichkeit, und als Gegenstück stürmen an der linken Bildhälfte die vier apokalyptischen Reiter auf einer Schädelpyramide empor; der Umriss des einen ahmt sogar die Gestalt eines Flugzeugs nach. Ganz hinten rollt ein graues Meer mit untergehenden Schiffen und fliehenden Barken, und überall herrschen die Farben rot-weiss-schwarz vor, worauf der Maler auch etwa hinwies. Dass der Berg mit den grünen Felsterrassen und dem schützend-betenden Bruder Klaus die Eidgenossenschaft versinnbildet, erkennt jedermann beim ersten Blick. Da sieht man ja auf einem Vorsprung leibhaft den General Wille nach dem Stand der Schlacht Ausschau haltend, und sein Stabschef und andere Offiziere stehen bei ihm, die dem Kundigen auch nicht unbekannt sind. Sogar den uniformierten Historiker-Freund H.G. Wirz erkennt man deutlich. Da wird auf einer andern Fluh in lächerlicher Eile das neue Schweizerhaus gezimmert, wonach es die Eiferer und Neunmalgescheiten in Kriegs- und Nachkriegszeiten immer gelüstet. Da marschiert der Vertreter der Käseunion mit beladener Traggabel keuchend auf und der Mehranbau wird eifrig ungeschickt betrieben. Auf höherer Terrasse liegt man der damals geforderten Schafzucht ob und vor allem wird die Schweizerkuh wacker gemolken. Ein Senne ruft den Betruf durch die Volle, aber – oh Hohn und Spott, den nur der Kundige merkt! – er ruft in der falschen Richtung, was damals auch viele Propheten getan haben. Dem Blutgemenge und der Schädelstätte entronnen, steigen auf schmalem Felsenpfad den sichern Berg hinan und werden vom serviettenbewaffneten Schweizer Kellner empfangen die internierten, humpelnden Soldaten, die Rotkreuzkinder, der österreichische Erzherzog im kecken und doch nachlässig-neckischen Käppi, das wie das alte Reich leider verschwunden ist. Eilfertig folgen im blauen Rock, mit flatterndem Haar und grüner Friedenspalme der pazifistische Dichter, die vaterlandlosen Schieber, die Arme verwerfenden Händler und die Kokotte im Pelz. Ach alles, was in jenen Kriegs- oder Nachkriegszeiten zu Recht oder Unrecht in der Schweiz Zuflucht fand, sieht sich hier im Bild.
Mit spitzbübischer Freude malte Robert wie ein wiedererstandener Hieronymus van Bosch in der stillen Winterszeit am Entwurf zu diesem Bild, und nach Einfällen brauchte er wahrlich nicht zu jagen. Einzelne allzu freche Anspielungen hat er sogar weggelassen, als er im Sommer 1921 es gemeinsam mit den Freunden auf die Rückwand der Kapelle übertrug, aber das meiste ist stehen geblieben zum Ärger oder Ergötzen derjenigen, die es angeht.» (Wyrsch, 1944, S. 182–185)