dieser beitrag wurde verfasst in: deutsch (ger/deu/de)
verfasserin/verfasser: Walter Kern
titel: Der Moderne Bund (1910-1913)
+: in: Das Werk 52 (1965), Heft 11, S. 411–418
"In seinen Aufzeichnungen «Unsern täglichen Traum...»' schreibt Hans Arp aus seiner frühen Zeit um 1910 in Weggis: «Ich nahm teil an einer kleinen Vereinigung Schweizer Künstler, die in Luzern im Hôtel du Lac ihre erste Ausstellung veranstaltete.» Und Paul Klee schreibt 1912 in seinen Tagebüchern: «... In Bern besuchte uns Arp, welcher die schweizerische Expressionisten Vereinigung Moderner Bund und sich damit lancierte. Er ist ein ganz frischer Bursch. Seinen Besuch erwidernd, fuhr ich zurück über Luzern-Weggis-Zürich. Die Ausstellung im Kunsthaus Zürich hatten wir schon herwärts gesehen, und damit eine Fahrt über den Lac des quatre Cantons bis hinauf nach Andermatt verbunden. In Weggis war noch Lüthy, ein Erotiker, etwas stark schillernd und perlmutternd, war noch H... und war noch Sprenger, der nur 'Pikkasso' sagen kann. Alle bemühen sich ganz tapfer, und ein kleines elsässisches Literatchen trommelte dazu mit einiger Grazie ...»
[…] Die erste Ausstellung des Modernen Bundes fand vom 3. bis 17. Dezember 1911 im Grand Hötel du Lac in Luzern statt. Darüber aus einem Brief Helbigs: «Wir waren ein jeder beglückt mit einigen Werken, mit denen wir die Welt beglücken wollten, und berieten die erste Ausstellung des Modernen Bundes für Luzern, die ich dann in die Hände Lüthys legen mußte, um unsere Übersiedelung in die Schweiz mit meiner Frau von Hamburg aus zu arrangieren.» Doch scheint auch Arp ein besonderes Verdienst an dieser Ausstellung gehabt zu haben, indem im Katalog «Herrn Arp und besonders der Kunsthandlung Clovis Sagot, 46, rue Laffitte, Paris, für die zur Verfügung gestellten Bilder und Zeichnungen» gedankt wird. Arp scheint die Verbindung mit Clovis Sagot hergestellt zu haben, der wahrscheinlich die Ausstellung durch eine Zeichnung von Othon Friesz, das radierte Bildnis Mallarmés von Gauguin, sieben Bilder von Auguste Herbin, eine Zeichnung von Matisse und fünf Arbeiten Picassos bereichert hat. Wahrscheinlich dürfte Sagot auch die fünf Gemälde des Malers A. Chabaud (Paris) vermittelt haben, über den ich nichts weiteres in Erfahrung bringen konnte. Als weitere Zuzüger seien der damals ebenfalls in Paris lebende Ivo Hauptmann, Cuno Amiet und Ferdinand Hodler erwähnt. Zu dem engern Kreis des Modernen Bundes scheint auch der in Luzern lebende Maler Richard Goldensohn gehört zu haben, den Kündig als Besitzer eines Textilgeschäftes erwähnt, während Helbig schreibt: «Lüthy wohnte damals als er die Ausstellung in Luzern zu organisieren hatte-bei dem dänisch-jüdischen Maler Goldensohn in Luzern, der mit seiner Schweizer Frau ein Restaurant besaß und bei dem Lüthy in Pension war. Goldensohn war ein realistischer Maler ohne eigentliche Gestaltungsfantasie.» An der zweiten Ausstellung des Modernen Bundes im Kunsthaus Zürich ist Goldensohn (oder Goldenson?) noch mit sechs Landschaften aus der Umgebung von Luzern vertreten, während er in den spätem Ausstellungen nicht mehr figuriert. Diese Luzerner Ausstellung umfaßte insgesamt 16 Künstler mit 65 Werken. Klee war noch nicht dabei.
Die zweite Ausstellung im Kunsthaus Zürich vom 7. bis 31. Juli 1912 umfaßte, außer dem engern Kreis der Arp, Lüthy, Helbig, Huber, Sprenger und Gimmi eine Reihe von deutschen Künstlern aus dem Umkreis des Blauen Reiters, wieder einige Franzosen und geladene Schweizer (Amiet, Hans Berger, Eduard Boss, Giovanni Giacometti und den Bildhauer Hans Gisler). Der französische Anteil war stark zurückgegangen, wies jedoch immer noch Namen wie Matisse mit vier Ölbildern, Delaunay und Le Fauconnier mit je drei Werken auf. 1911 besuchte Arp Kandinsky in München und nahm Kontakt mit den Malern des Blauen Reiters, die Helbig teilweise seit 1909 kannte. Es dürfte daher wiederum Arp, aber auch Helbig zu danken sein, wenn in Zürich Kandinsky mit acht, Gabriele Munter mit fünf Werken und Franz Marc mit den Gemälden «Reh im Wald» und «Mädchen mit Katze» der Ausstellung einen neuen Aspekt internationaler Tendenzen gaben. Auf dieser Ausstellung war auch der Russe Daniel Rossiné vertreten, von dem man heute kaum mehr als den Namen wüßte, wenn nicht Arp ihn in seinen Aufzeichnungen besonders erwähnen würde: «Meine Leinwände, das Resultat monatelanger, qualvoller Arbeit, waren mit einem schwarzen Gewebe, mit einem Netz wunderlicher Schriften, Runen, Linien, Flecken bedeckt. Die Kollegen schüttelten den Kopf und hielten sie für verunglückte Skizzen. Der russische Maler Rossiné, der mich in dieser Zeit besuchte, brachte dagegen meinen Versuchen ein unerwartet großes Verständnis entgegen. Rossiné zeigte mir einige seiner Zeichnungen, auf denen er mit farbigen Punkten und Kurven seine innere Welt auf eine nie gesehene Art dargestellt hatte. Seine und meine Arbeiten waren konkrete Kunst.»
[…] Obschon Klee sich an der Zürcher Ausstellung, bei Goltz in München und beim Sturm in Berlin beteiligte und ein Blatt zur «2. Mappe» des Modernen Bundes beisteuerte, von der noch die Rede sein soll, nimmt er mit ebenso leiser Ironie vom Modernen Bund Abschied, mit welcher er ihn begrüßt hatte. Denn er scheint sich Ende 1913 oder im Laufe des Jahres 1914 aufgelöst zu haben, worüber Klee in seinen Tagebüchern vermerkt: «Arp kam von Weggis weg. Die Fabrik seines Vaters hat gekracht, auch im Modernen Bund scheint nicht alles in Ordnung. […]»
[…] [Der Moderne Bund] hat vor allem in der Schweiz Pionierarbeit geleistet und dazu beigetragen, «durch gegenseitige Unterstützung jene Notwendigkeit in der Schweiz fühlbar zu machen, die im Ausland längst zur klaren Form gewachsen ist». Künstler wie Arp und Klee haben aber auch auf internationaler Ebene neue schöpferische Ziele postuliert und in ihrem eigenen Werk verwirklicht. Neben der wenige Jahre später von Zürich ausgehenden Dada-Bewegung, zu deren treibenden Kräften Arp ebenfalls gehörte, hat der Moderne Bund in den kurzen Jahren seines Bestehens der schweizerischen Malerei neue Elemente zugetragen und aus eigenen schöpferischen Kräften der modernen Kunst in unserm Lande zum Durchbruch verholfen."