dieser beitrag wurde verfasst in: deutsch (ger/deu/de)
verfasserin/verfasser: Claudio Jörg
titel: Die Schweizerische Landesausstellung 1914 in Bern: zwischen Fortschrittsglaube und Kulturkritik
+: in: expos.ch. Ideen, Interessen, Irritationen, Bern 2000, S. 131–149
«[…] Doch das Publikum konnte sich nicht mit der neuen schweizerischen Kunst identifizieren. Dabei handelte es sich beim Reiter-Plakat nicht einmal um ein Beispiel der künstlerischen 'Avantgarde', die seit 1910 auch in der Schweiz entstanden war. Cardinaux war ein Vertreter der 'Schweizer Schule', die sich an Ferdinand Hodler orientierte. Diese Kunstrichtung, die für viele als 'typisch schweizerisch' galt und als nationale Kunst offizielle Unterstützung in Form von Subventionen erhielt, dominierte die schweizerische Kunstszene. Auch wenn sie formal die realitätsgetreue Wiedergabe durchbrach, fand sie ihre Motive in erster Linie in einer intakten Natur. Mit dem Aufkommen der konservativen Kunstrichtung der 'Sezession' im Laufe des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts war der angestrebte Konsens über eine spezifisch nationale Kunst wieder in weite Ferne gerückt. Die Vertreter der 'Sezession' warfen der 'Hodlerei' aufgrund ihrer formalen 'Auswüchse' vor, das Volksempfinden und den gesunden Menschenverstand zu missachten. Auch die Aufnahmejury der XII. nationalen Kunstausstellung, die im Rahmen der Landesausstellung durchgeführt wurde, bezichtigten die Anhänger der 'Sezession' der Einseitigkeit. Die gehässigen Auseinandersetzungen fanden ihren Höhepunkt in der Motion Heer, welche die Gleichberechtigung der Kunstrichtungen zum Ziel hatte. Nach ihrer Annahme im Parlament im Frühjahr 1914 wurde sie 1915 mit einer entsprechenden Verordnung des Bundesrates umgesetzt.» (S. 144)