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dieser beitrag wurde verfasst in: deutsch (ger/deu/de)

verfasserin/verfasser: Friederike Schuler

titel: Im Dienste der Gemeinschaft – Figurative Wandmalerei in der Weimarer Republik

isbn: 978-3-8288-3768-3

+: Marburg 2017

«Die Recherchen in den Archiven der grossen Firmen, die in der Weimarer Republik eine Rolle spielten […] konnte jedoch nur vereinzelte Werke zu Tage fördern: zum Beispiel ein Wandbild des Beckmann-Schülers Georg Heck (1897–1982) im Verwaltungsbau der I.G. Farben, der 1928 bis 1931 von Hans Poelzig in Frankfurt errichtet worden war. […] In anderen Industriebauten der Weimarer Republik findet sich dagegen kaum figurativer Schmuck, was darin begründbar sein mag, dass die florierenden und expandierenden Unternehmen bevorzugt moderne Architekten beauftragten, in deren Verständnis von einer neuen und sachlichen Architektur kein Platz für figurative Wandmalerei blieb. Diese moderne Architektur sollte frei von jeglichem figurativen oder ornamentalen Schmuck als gebauter Raum selbst zum Kunstwerk werden. (S. 16–17)

«Viele der Künstler der Weimarer Republik, die in öffentlichen Bauten Wandmalereien umsetzen konnten oder dies zumindest als ein Ziel vor Augen hatte, verband das Streben nach einer gesellschaftlich relevanten und wirksamen Kunst. Der besonders zu Beginn der 1920er-Jahre äusserst aktive Arbeitsrat für Kunst forderte gar die explizite 'Beseitigung des Rahmenbildes' zugunsten einer umfassenden Integration der Kunst in die alltägliche Umgebung des Volkes.» (S. 18)

«Um die Jahrhundertwende [1900] dominierte schliesslich die Auffassung einer monumentalen Kunst, wie sie vielfach formuliert wurde:

'gross und schlicht, geistig und einfach, wuchtig und innerlich, sachlich und göttlich […]: Das ist monumentale Kunst!'

Peter Behrens (1868–1940) schloss sich in seiem 1909 veröffentlichten Vortrag 'Was ist monumentale Kunst?' dieser Definition weitgehend an, betonte aber, dass das 'Monumentale auf keinen Fall in der räumlichen Grösse' bestehe, sondern die Gesamtwirkung entscheidend sei:

'Wir verlangen eine ernste hohe Würde, nicht das Zierliche, Anmutige, Launige. […] Es ist das Feierliche, Eherne, Unnahbare, Ewige.'

Ausserdem war monumentale Kunst für Behrens unabdingbar mit ihrer öffentlichen Rezeption verbunden, durch die die Monumentalität gleichsam erst konstituiert würde. Diese Auffassung teilte auch der Kunsthistoriker Richard Hamann (1879–1961), der in der Wandmalerei neben der Plastik die für Monumentalkunst prädestinierte Gattung sah. Er verstand darunter in erster Linie kollektive Erinnerungszeichen, die sich in dieser Funktion nur in der öffentlichen Rezeption realisieren.» (S. 21)

«Das gehaltvolle Monumentalgemälde strebe nach einer Verbindung mit der Architektur, weil diese ihm den idealen Raum bieten kann, um seine Wirkung zu entfalten; das dekorative Gemälde dagegen entstehe laut [Hans] Hildebrandt häufig als Wandgemälde, das aber umgekehrt eher der Architektur dienen und diese im Sinne des Wortes 'decoratio' (= Schmuck) schmücken soll.» (S. 23)

«'Stets bleibt es [das monumentale Bild] Glied eines baukünstlerischen Organismus […]. Es hilft den geistigen Gehalt wie die Bestimmung des Gebäudes und des einzelnen Bauteils, dem es verhaftet ist, versinnlichen; es nimmt teil an der Raumgestaltung; es trägt das Seine dazu bei, die formale Durchbildung des Raumes oder der Fassade der letzten Vollendung entgegenzuführen.'

Dabei müsse das Wandbild idealerweise 'zugleich ein Werk der Malerei und ein Werk der Architektur' bleiben, oberstes Ziel des Küstlers solle

'die restlose Verschmelzung der malerischen Bildelemente – beseelte Formen, Linien, Farben, Helligkeiten und Dunkelheiten – und der in einer bestimmten Wand wirksamen Kräfteelemente' sein.» (S. 24–25)

«Es lassen sich gleichsam drei verschiedene Konzepte verifizieren, die in den 1920er-Jahren Anwendung fanden. […]

Einerseits ist nach wie vor die Definition des 19. Jahrhunderts spürbar, wie sie auch [Joseph] Popp und [Hans] Hildebrandt in ihren umfangreichen Publikationen zur Wandmalerei verwendeten: […] Monumentalität wird als Steigerung eines dekorativen Gemäldes verstanden, die vor allem durch inhaltliche Aspekte erreicht wird und somit zwangsläufig an eine figurative Darstellung geknüpft ist. Mit dieser Definition lassen sich vor allem Wandmalereien bis zum Anfang des Jahrhunters sinnvoll beschreiben.

Für die aktuelle Wandmalerei forderten [Wassily] Kandinsky, [Theo] van Doesburg oder [Hans] Hildebrandt eine Lösung von diser inhaltlichen Definitionsebene. Sie definierten Monumentalität im Sinne des Zusammenwirkens aller Künste. Auch wenn sie sich in der Vorstellung der formalen Umsetzung voneinander unterschieden, knüpften alle an die Bauhüttentradition, den Werkbundgedanken bzw. an das Konzept des Gesamtkunstwerks an.

Darüber hinaus wurde gleichsam epochen übergreifend Monumentalität als Kompositionsprinzip innerhalb eines Wandgemäldes verstanden. Monumentalität ist in diesem Verständnis nicht auf eine absolute (Mindest-)Grösse festgelegt. So bezeichnete auch Gustav Schiefler (1857–1935) sowohl Buchschmuck-Grafik von Ernst Ludwig Kirchner als auch dessen Entwürfe für die Wandmalerei im Festsaal des Essener Museum Folkwang als monumental. Und so lässt sich vermutlich auch die Genese des Wunsches erklären, im Haus der Arbeiterwohlfahrt [Saarland] den Holzschnitt Die Mütter von Käthe Kollwitz als überlebensgrosses Wandbild ausführen zu lassen.» (S. 25–26)

«[…] diese Beispiele zeigen, dass in den 1920er-Jahren der Volksbildungsgedanke nach wie vor wichtige Grundlage für die Kunstpolitik der Länder und Städte war, jetzt aber oftmals mit dem sozialstaatlichen Ziel der Künstlerunterstützung verbunden wurde, wie es im 19. Jahrhundert im Bereich der öffentlichen Wandmalerei sicher nicht denkbar gewesen wäre.» (S. 150)

«An den Akademien des 19. Jahrhunderts hatte die berühmten Historienmaler wie Peter Cornelius (Düsseldorf und München), Wilhelm von Kaulbach (München), die Maler der Düsseldorfer Malerschule (wie Bendemann) oder in Berlin Anton von Werner und später Hugo Vogel und Arthur Kampf gelehrt, die zahlreiche Monumentalwerke im öffentlichen Raum ausführen konnten. In München waren Ludwig I. und Maximilian II. die wichtigen Auftraggeber, die in der Glyptothek, an der Neuen Pinakothek, in der Residenz sowie den Hofgartenarkaden Wandmalereien beauftragten. Im Kaiserreich entstanden schliesslich vor allem für Berlin monumentale Wandgemälde in den öffentlichen Repräsentationsbauten, die oftmals um nationale Themen kreisten, wie beispielsweise Arthur Kampfs […] Monumentalgemälde Fichtes Rede an die deutsche Nation (1913/14) in der Aula der Berliner Universität. […]

Die drei Kunstakademien in Berlin, Düsseldorf und München können als die wichtigsten Ausbildungsstätten auf dem Feld der öffentlichen Monumentalmalerei genannt werden. Gleichsam einen Gegenpart zu den Akademien bildeten die Kunstgewerbeschulen, in denen der Schwerpunkt auf der handwerklichen Ausbildung im Bereich der angewandten Kunst lag und die sich im Sinne der umfassenden Gestaltung des Alltags ebenfalls mit Wandmalerei bzw. -gestaltung befassten.

Erste Überlegungen, Akademien und Kunstgewerbeschulen zu verknüpfen, entstanden unter dem Einfluss Gottfried Sempers bereits im 19. Jahrhunder, was zu der Zeit jedoch mehr einer ökonomischen Motivation zuzuschreiben ist. Das Bemühen um die Vereinigung von freier und angewandter Kunst bzw. die Abschaffung der institutionellen Unterscheidung und das Streben nach einer Einheitskunstschule erfuhr dann vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunders eine überregionale Relevanz: Der Leiter der Stuttgarter Kunstgewerbeschule Bernhard Pankok (1972–1934), Mitbegründer der Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk (1902 und des Deutschen Werkbundes (1907) in München, reichte bereits 1906 seine Zukunfsvision einer – aus Kunstgewerbeschule, Akademie und den 'Lehr- und Versuchswerkstätten' - vereinigten Hochschule ein. Im Folgenden gingen vom Deutschen Werkbund sowie dem Werkbundstreit 1914 wichtige Impulse zur sog. Kunstschulreform aus, deren Ziel die Nivellierung der Unterscheidung zwischen freier und angewandter Kunst im Sinne des Werkbundsgedankens war. (S. 156)

«Wilhelm Waetzoldt plädierte in seiner Funktion als preussischer Kunstreferent mit seiner Schrift Gedanken zur Kunstschulreform für eine solche vereinigte Schulform der künstlerischen Ausbildung und legte sie 1920 dem Hauptausschuss der preussischen Landesversammlung als Reformprogramm für die staatlichen Bidungsanstalten vor.

Auf einem Treffen der Kultusministeriumsvertreter der grösseren deutschen Länder – Preussen, Bayern, Thüringen, Sachsen, Baden und Württemberg – 1921 in München schloss man sich weitgehend Waetzoldts Gedanken an und vereinbarte eine reichsweite Umsetzung der Ziele. Waetzoldts Schrift wurde damit gleichsam zum Massstab und überregionalen kulturpolitischen Ziel. […]

Die Debatte über eine Kunstschulreform brachte einerseits also eine Reform der Institutionen und Struktur der Ausbildungsgänge mit sich, andererseits beeinflusste sie auch die inhaltlichen Schwerpunkte. Für die Wandmalerei und den ihr zugeschriebenen Stellenwert lassen sich verschiedene Abstufungen einer mitunter neuen Bewertung eingrenzen. Diese Abstufungen reichen von einer weiterhin weitgehend der Tradition verhafteten Auffassung von Wandmalerei, wie sie beispielsweise an der Münchner Akademie vorherrschte, über zwar engagierte Neuerungsbestrebungen, wie sie sich an der Düsseldorfer Akademie oder in der Klasse von Adolf Hölzel in Stuttgart zeigten, bis hin zu den radikalen Neuinterpretationen und -nutzungen von Wandmalerei bzw. Wandgestaltung als Orientierungssystem bzw. integralem Bestandteil von Architektur in der späteren Werkstatt für Wandmalerei am Bauhaus unter Hinnerk Scheper. Eine vergleichsweise traditionelle Auffassung von Wandmalerei findet sich an den Kunstakademien in München, Berlin oder auch in Dresden. Wenn überhaupt, vollzogen sich die Erneuerungsbestrebungen hier relativ verhalten. Die entscheidenden Impulse gingen mehr von den Kunstgewerbeschulen aus.» (S. 157–158)

«Der Runderlass des preussischen Ministers des Innern vom 20.6.1928, der an die Ober- und Regierungsräte sowie Landräte und Gemeindeverbände erging, forderte diese auf, bei der Errichtung kommunaler Bauten 'mehr als bisher' bildende Künstler einzubeziehen und begründete diese Erfordernis weiterhin unter anderem mit der finanziellen Notlage vieler Künstler. Für die preussische staatliche Hochbauverwaltung wurde bekannt gegeben, dass hier ab sofort entsprechend verfahren werde. Der Innenminister schien hierbei gleichsam auf die Forderung des Reichsverbandes aus dem Vorjahr zu antworten. […]

Auf dieser Grundlage entstanden 1934 schliesslich die offiziellen Verlautbarungen der nationalsozialistischen Regierung, in denen Reich, Länder und Gemeinden sowie die Körperschaften des öffentlichen Rechts wie die Deutsche Reichsbahngesellschaft verpflichtet wurden, bei allen Hochbauten, was Neubauten genauso betreffe wie Um- und Erweiterungsbauten, einen 'angemessenen Prozentsatz der Bausumme für die Erteilung von Aufträgen an bildende Künstler und Kunsthandwerker' aufzuwenden. Es wurde jedoch noch kein genauer Prozentsatz festgeschrieben, wie dies dann in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit der Fall war […]. Während der preussische Innenminister während der Weimarer Republik nur generell empfohlen hatte, Künstler zu öffentlichen Bauaufgaben hinzuzuziehen, wurde 1934 inhaltlich zwar (noch) keine konkrete Richtung festgeschrieben, jedoch zumindest eine gewisse Zweckgebundenheit verlangt:

'das mit dem Bau verbundene oder innerhalb des Baues angebrachte Kunstwerk [solle] nicht um seiner selbst willen als zwecklose Zutat, sondern sinnvoll in Beziehung zu dem Zweck des Gebäudes, zu den örtlichen Begebenheiten und zur Umgebung gebracht' werden.

[…] Die zentralen, auf alle Gattungen anwendbaren Ziele, die mit einer Kunst im öffentlichen Raum erreicht werden sollten, sind folgende: eine Vereinigung der Künste – nicht selten klingt dabei die Führungsrolle der Architektur an –, eine Durchdringung von Kunst und Leben, was sich durch die künstlerische Gestaltung des Alltags erreichen lassen würde, Volksbildung durch Popularisierung der Kunst, Identitätsstiftung durch Kulturstaatlichkeit, Rolle des Staates nicht als Mäzen, sondern als Fürsorgeträger auf den verschiedenen Ebenen wie Kunstpflege, Öffnung der Museen, aber auch sozialem Wohnungsbau.» (S. 169–170)

«Die Manifestation oder Neu-Stiftung regionaler oder nationaler Identität stand bei staatlichen und kommunalen Verwaltungsgebäuden im Zentrum. Bei den sog. 'Bau­ten der Gemeinschaft', die nicht für die öffentliche Verwaltung genutzt wurden und in erster Linie als gemeinschaftlich genutzte Räume im Unterschied zu Privaträumen zu verstehen sind, liegen die Gründe für Wandmalereien meistens an anderer Stelle. Es kann vermutet werden, dass hier eine bestimmte Vorstellung von Gemeinschaft zum Ausdruck gebracht werden sollte oder auch 'einfach' eine Dekoration oder Verschöne­rung des Alltags durch künstlerisch gestaltete Architektur ein Ziel sein könnte. Auftraggeber sind hier nicht zwangsläufig Stadt, Land oder Kommune, sondern auch Wohlfahrtsverbände oder politische Parteien. Eine größere Freiheit hinsicht­lich der Themenwahl und dem künstlerischen Stil lag daher auf der Hand. Auch private Restaurantbetreiber agierten auf diesem Feld. Diese Wandmalereien unterlagen jedoch ebenso wie die meist temporären Wandbilder und -dekorationen für Karneval und Künstlerfeste ganz anderen Prämissen und müssen hier außen vor bleiben.» (S. 200–201)